Bartitsu, ist die Kampfkunst des britischen Gentlemans im viktorianischen England. Es wäre fast vollkommen in Vergessenheit geraten, wenn nicht Sir Conan Doyle, der Erfinder des Meisterdetektivs Sherlock Holmes, das Bartitsu in seinen Romanen verewigt hätte.
Bartitsu wurde von Edward William Barton als Synthese des Judos, Jiu-Jitsu, Savate und europäischem Ringkampfsport begründet. Es ist die Kampfmethode des Gentlemans, der seine Fäuste, aber auch Waffen, wie den Spazierstock zur Selbstverteidigung nutzt. 1901 eröffnete die erste Schule in London.
Wie ist diese Kampfmethode einzuordnen? Was ist davon erhalten geblieben und inwiefern entspricht sie heutigen Standards realistischer Selbstverteidigungsmethoden?
Die Geschichte des Bartitsu
Bartitsu is art of fighting to the finish. Edward William Barton Wright
Die „Erfindung“ des Bartitsu
Edward William Barton Wright gilt als der Begründer des Bartitsu. Die Kampfkunst ist eine Wortkreation aus seinem Namen und dem japanischen Jiu-Jitsu. Barton nutzte die Zeit seines beruflichen Aufenthalts als Eisenbahningenieur in Japan, um die japanischen Kampfkünste, ins besonders das japanische Jiu-Jitsu und Judo unter Jigoro Kano zu studieren.
Nach dem Ende seines Aufenthalts in Japan begründete er 1901 seine erste Schule in Soho, einem damals berüchtigt gefährlichen Stadtteil Londons. Die Kampfkunst war vor allem als Selbstverteidigungsmethode gedacht, um sich gegen die berüchtigten Kriminellen, Hooligans und sogenannten Garroters zu wehren.
Barton nannte seine Schule „Bartistsu school of arms and physical culture“.
Der Einfluss unterschiedlicher Kampfmethoden im Bartitsu
Barton lud verschiedene Selbstverteidigungslehrer in seine Schule ein, um zu unterrichten. Darunter auch die Japaner Yukio Tani, Sadakazu Uyenishi zwei Vertreter des Jiu-Jitsu. Das Jiu-Jitsu ist eine Kampfmethode, die darauf setzt, die gegnerische Kraft gegen ihn einzusetzen und mit einem Minimum an eigenem Kraftaufwand auskommen möchte. Im Jiu-Jitsu werden Schläge, Tritte, Hebeltechniken, Würger und Wurftechniken eingesetzt.
Jiu-Jitsu widmet sich auch der Abwehr bewaffneter Angriffe, nutzt allerdings selbst keine Waffen. Jiu-Jitsu selbst, stellt die Basis dar, aus der Jigoro Kano sein Judo entwickelte. Aus dem Judo wurden Schlag- und Tritttechniken entfernt, ebenso gefährliche Hebeltechniken, wie bestimmte Beinhebel. Es galt Judo, als Sport sicherzumachen und Verletzungen zu vermeiden.
Zusätzlich wurde Ringen (das Schweitzer Schwingen) und von dem Schweitzer Waffenmeister Pierre Vigny, das französische Savate mit ins Bartitsu eingebracht und in der Schule unterrichtet. Savate ist eine französische Art der Selbstverteidigung, die von asiatischen Kampfkünsten, Straßenkampftechniken und dem englischen Boxen beeinflusst wurde. Im Savate werden sehr effektive Tritte verwendet. Der Stock spielt im Savate ebenso eine wichtige Rolle als Waffe zur Selbstverteidigung.
In Barton Wrights Schule wurde auch von einigen Enthusiasten historisches Fechten geübt.
Schüler des Bartitsu nahmen damals an unterschiedlichen Wettbewerben und Herausforderungskämpfen teil, um das Erlernte zu testen.
Auch der Frauenselbstverteidigung wird und wurde im Bartitsu Aufmerksamkeit geschenkt. Hier kamen, um der körperlichen Unterlegenheit der Durchschnittsfrau gegenüber dem Mann gerecht zu werden, häufig Gegenstände als Waffen eingesetzt.
Sogar die Suffragetten, eine der ersten Frauenrechtsbewegungen, die ein Frauenwahlrecht forderten, bedienten sich des Bartistsu.
Streitigkeiten und Schulschließung
Nach nur zwei Jahren, kam Wrights Bartitsu Schule, jedoch in finanzielle Schwierigkeiten. Nach einem Streit Barons, der in einem Kampf mit Yukio Tani mündete, schloss die Schule 1902 ihre Tore.
In den folgenden Jahren etablierten die beiden Japaner und der Schweitzer Vigny eigene, voneinander unterschiedliche Schulen in ganz London.
Barton Wright zog sich indessen ganz aus dem Geschäft zurück. Seine Kampfkunst geriet fast in Vergessenheit, während das japanische Jiu-Jitsu in London an Popularität stetig zunahm.
Wäre nicht Sir Arthur Conan der Erfinder von Sherlock Holmes gewesen, wäre Bartitsu wohl gänzlich in Vergessenheit geraten.
In Robert Downey Jr, finden wir als Darsteller des Meisterdetektivs ein glaubwürdiges Rollenmodell, für das Bild des kämpfenden Gentlemans. Downey Jr. lies in die Kampfszenen als langjähriger Schüler des chinesischen Wing Chun seine eigene Interpretation des Kampfes einfließen.
Wiederbelebung des Bartitsu Ende des 20. Jahrhunderts
Ende das 20. Jahrhunderts wurde von Kampfkunstenthusiasten der Versuch unternommen, das Bartitsu wiederzubeleben und vergessene Konzepte und Techniken neu zu erforschen. Zu dem Behufe wurde 2002 die Bartistsu Society ins Leben gerufen. Über Bücher, Videos (Bartitsu Compendium) und Seminare wird nun versucht Bartitsu weltweit zu verbreiten.
Technische Besonderheiten im Bartitsu
Bartitsu, die Kampfkunst des Gentlemans bedient sich waffenloser Techniken und Techniken, die mit Alltagsgegenständen umzusetzen sind. Der Spazierstock, war ein naheliegendes Werkzeug, das der Gentleman zum Selbstschutz einsetzen konnte. Die Parallelen zum französischen Savate und der Einfluss von Pierre Vigny sind hier deutlich zu sehen.
Mehr über das Savate.
Wie hier zu sehen ist, wird auch dem Vorkampfverhalten und der Deeskalation durchaus Aufmerksamkeit gewidmet. Fruchtet diese Strategie nicht, kommen Behelfswaffen, wie das Taschentuch, der Regenschirm oder Spazierstock zum Einsatz.
Der Einsatz des Taschentuchs zur Verteidigung empfiehlt sich, in Zeiten der Covid-19-Pandemie, nur im äußersten Notfall und muss als äußerstes Mittel in der Notwehr betrachtet werden. 😉
Im obigen Video siehst du im Rahmen eines Bartitsu Seminars:
- Stocktechniken – sehr ähnlich jenen des Savate
- Waffenlose Techniken: Die stark an den sogenannten Pugilism, englische Faustkampftechniken aus dem 19. Jahrhundert erinnern.
- Tritttechniken, wie wir sie aus dem Savate kennen. Hier handelt es sich vor allem um tiefe Tritte, die sich für die Selbstverteidigung eignen.
Waffenlose Techniken des Bartitsu
Die waffenlosen Techniken des Bartitsu sind stark vom Ringkampf, dem japanischen Jiu-Jitsu, dem französischen Savate und dem alten englischen Boxen beeinflusst. Da hier noch bare knuckle, also ohne Handschuhe gekämpft wurde, spielen Angriffe zum Körper eine wichtige Rolle. Die Gefahr sich die Hand am Schädel des Gegners zu verletzen ist mit ungeschützten Händen ungleich größer. Deshalb muss sehr dosiert und gezielt zugeschlagen werden.
Häufig wird eine vertikale Faustposition eingesetzt und Techniken wie der Nasenstüber spielen eine wichtige Rolle. Gerade Stöße werden häufiger eingesetzt als Haken, verglichen mit dem modernen Boxsport.
Techniken mit Waffen im Bartitsu
Hier spielt der Spazierstock oder auch Regenschirm eine herausragende Rolle. Der Einfluss des französischen Savate und dessen Stockkampftechniken (Canne et Bâton/Canne de Combat) ist deutlich zu erkennen. Da es den Bürgern nicht mehr gestattet war, in der Öffentlichkeit, deutlich sichtbar lange Klingenwaffen zu führen, musste der damals gängige Spazierstock diesen Platz einnehmen.
Klinge vs. stumpfe Waffe
In diesem Zusammenhang ist es wesentlich zu verstehen, dass sich die Art, mit stumpfen Waffen zu kämpfen, wesentlich von jener unterscheidet, mit Klingen zu kämpfen. Wer sich dessen nicht bewusst ist, macht entscheidende Fehler im Training. Klingenwaffen sind ungleich gefährlicher als stumpfe Waffen, auch wenn stumpfe Waffen durchaus tödlich sein können. Das steht außer Frage.
Dennoch wirkt sich ein Treffer, Stich oder Hieb mit einer Klinge wesentlich schlimmer aus als mit einer stumpfen Waffe. Während also die lange Distanz beim Fechten, die erste Wahl der Kämpfer sein muss, ist beim Kampf mit stumpfen Waffen das Gegenteil wahr. Wer eine schnelle Entscheidung im Stockkampf sucht, muss näher ran.
Beim Fechten mit Klingen kommt der Fechter mit kleinen, sehr feinen Bewegungen aus. Sie erlauben ihm, schnell und überraschend für den Gegner zu agieren. Aufgrund der Gefährlichkeit der Klingenwaffe, reicht schon ein sehr geringer Druck auf die Waffe, um fatale Schäden anzurichten.
Bei stumpfen Waffen, bedarf es einer großen Wucht, um Schäden anzurichten. Das wiederum bedingt große Ausholbewegungen, um die nötige Wucht zu erzeugen. Wenn du unterschiedliche Techniken betrachtest, hilft dir dieses Hintergrundwissen zu beurteilen, wie sinnvoll und praktikabel das Gezeigte tatsächlich ist.
Spazierstöcke, die Klingen in sich bergen, sind hervorragende Waffen. Sie sind heute praktisch überall verboten und illegal.
Bartitsu in den Medien
Hier siehst du Robert Downey Jr. in seiner Filmrolle als Sherlock Holmes. Downey ist ein langjähriger Schüler des chinesischen Wing Chun, ein Stil, der wie das Bartitsu überwiegend die vertikale Faust einsetzt. Schläge mit der offenen Hand und tiefe Tritte spielen ebenso eine wichtige Rolle in diesem Stil.
Was du in der Filmszene siehst, ist aber anders als die Überschrift vermuten lässt, nicht Wing Chun, sondern Bartitsu.
Fazit Bartitsu – die Kampfkunst des Gentlemans
Wir verdanken Sir Conan Doyl, dem Erfinder des Sherlock Holmes und einigen Kampfkunst Enthusiasten, dass Bartitsu nicht in Vergessenheit geraten ist. Bartitsu ist definitiv eine Kampfkunst mit eigenem Flair und Charme. Sie besticht durch elegante Bewegungen. Verglichen mit modernen Selbstverteidigungsmethoden, wirst du aber was Effektivität angeht, gewissen Abstriche machen müssen.
Eleganz und Charme in einer ernsthaften körperlichen Auseinandersetzung zu bewahren ist ein wunderbares Ideal, dem in Wahrheit aber niemand gerecht werden kann. Kampf und Training bedeutet letztendlich immer auch Schweiß, Blut und Tränen. Wer sich dem nicht bereit ist, auszusetzen, läuft Gefahr, in einer Illusion gefangen zu bleiben.
Wer das im Hinterkopf behält, und Bartitsu als Hobby betreiben möchte, trifft hier bei einem passenden Lehrer sicher eine gute Wahl und wird viel Spaß am Training haben. Vielleicht findet sich ja auch eine Seminarmöglichkeit in der Nähe, um mal zu schnuppern.
Probiert es einfach aus, wenn sie uns im Covid Desaster jemals wieder miteinander trainieren lassen, was wir ja alle schwer hoffen!
Viel Spaß beim Training!