Die ersten „regellosen“ Vergleichskämpfe, zwischen Kämpfern unterschiedlichster Stilrichtungen und unterschiedlichstem Background, haben die Kampfsportszene und vieles, was bis zu dem Zeitpunkt anerkanntes Allgemeinwissen war, einem gründlichen Realitätscheck unterzogen.
Mit für die absolute Mehrheit überraschenden Ergebnissen.
Die ersten UFCs haben gezeigt:
Grappling, Ringen und hier vor allem, das durch Royce Gracie präsentierte Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ) haben diese Kämpfe klar dominiert. Kämpfer, die nicht gelernt hatten, am Boden zu kämpfen, wurden binnen Sekunden vom gefährlichen Gegner, zum wehrlosen Opfer.
Welche Rückschlüsse können wir aus diesen Vergleichskämpfen ziehen und der Realität „auf der Straße“ ziehen?
Bodenkampf spielt in der Selbstverteidigung, eine wesentliche, aber untergeordnete Rolle. Oberstes Ziel muss sein, ihn zu vermeiden und so schnell wie möglich wieder aufzustehen. Du kannst hier kaum mehr ausweichen, bist mehreren Angreifern völlig ausgeliefert und musst die Angriffe voll nehmen.
Müssen wir jetzt, um für den Selbstverteidigungsfall vorbereitet zu sein, BJJ, Luta Livre oder das russische Sambo trainieren? Selbst zum Grappler werden? Müssen wir den Bodenkampf zwangsläufig in unser Training integrieren? Kommen wir ganz ohne Bodenkampf aus, weil wir auf Geheimtechniken, oder äußert brutale Maßnahmen zurückgreifen können, die nichts mit Sport zu tun haben?
Für Frauen ist die Thematik, aufgrund der höheren Gefahr vergewaltigt zu werden, besonders relevant. Für solche Fälle, können grundlegende Fähigkeiten am Boden, ebenfalls sehr nützlich sein.
Die Bedeutung des Bodenkampfes in den Mixed Martial Arts
MMA, der Vollkontaktkampfsport der sich nach den ersten UFCs entwickelt hat, besteht wie der Name schon sagt aus einer Vielzahl von Einflüssen. Während in den ersten Turnieren das BJJ allein äußerst dominant war und eine fixe Größe im Training der MMA Sportler darstellt, haben auch Praktiker des BJJ ihr Wissen mit Elementen anderer Stile erweitert.
Die Evolution des Sportes zwingt zu ständigen Anpassungen in allen Bereichen. Das betrifft den technischen Bereich, aber auch die körperliche Vorbereitung. Während in der Anfangsphase der Wettkämpfe, in der Vorbereitung, ein noch eher am Bodybuilding orientiertes Training dominierte, hat sich auch das spezifische Kraft- und Ausdauertraining dramatisch gewandelt.
Fakt ist: Wer im MMA bestehen will, muss Bodenkampf trainieren. Selbst und gerade dann, wenn er lieber im Stand kämpft. Die Fähigkeiten im Grappling und Ringen versetzen ihn erst in die Lage stehen zu bleiben und sich Takedown Versuchen zu erwehren. Das gelingt natürlich auch nicht immer, aber viel öfter als ohne das entsprechende Training.
Welche Schlüsse können wir daraus für die Selbstverteidigung ziehen?
Setzen wir MMA und Selbstverteidigung gleich (Vorsicht Fehlschluss!), oder betrachten MMA als so ziemlich die beste Vorbereitung für den Ernstfall, können wir nur zu einem Schluss kommen. Bodenkampf muss fixer Bestandteil jedes Selbstverteidigungstrainings sein und ist absolut unabdingbar.
Diese Ansicht ist weit verbreitet und viele Selbstverteidigungsstile, wie etwa das israelische Krav Maga widmen dem Bodenkampf entsprechend Zeit in ihrem Training.
Diese Art zu denken hat ganz sicher ihre Berechtigung. Die Gefahr zu Boden zu gehen ist immer gegeben. Sei es durch Schlagwirkung, Gleichgewichtsverlust, oder einen erfolgreichen Takedown Versuch der oder des Gegners.
Es macht also durchaus Sinn, am Boden zu trainieren. Es stellt sich nur die Frage nach dem Was?
Müssen wir zu Grappling Experten werden, um uns wehren zu können?
Die Suggestivfrage können wir mit einem klaren Nein beantworten.
Trainierst du mit dem Bodenkampf, mit dem Ziel deine Erfolgschancen im Ernstfall zu verbessern, benötigst du lediglich ein paar Grundkenntnisse im „sportlichen“ Bodenkampf. Du solltest wissen, welche Positionen vorteilhaft sind und welche Nachteile mit sich bringen.
Dir sollte also bewusst sein, dass beispielsweise die Full Mount Position, dann toll ist, wenn du oben bist. In der Unterlage äußerst gefährlich. Zu den unterschiedlichen Positionen weiter unten im Beitrag. Das ist mit Abstand das wichtigste Element ist, trainiert zu haben, wie du so schnell als möglich wieder auf die Beine kommst.
Wir gehen vertrauensvoll davon aus, dass trainierte Sportler sich so weit im Griff haben, ihre Fähigkeiten nicht zu missbrauchen.
Natürlich gilt auch hier – gegen Experten auf ihrem Gebiet, wird der Amateur wenig Chancen haben.
Aufstehen aus der Bodenlage
Sehr anschaulich demonstriert. Diese Übungen, die mittlerweile stilübergreifend trainiert werden, zumindest ab und an ins Training zu integrieren macht Sinn!
Was spricht für Bodenkampf in der Selbstverteidigung?
Nach gängigen Schätzungen enden 90 % der Kämpfe am Boden. Demnach macht es also Sinn, sich dort zurechtzufinden. Neben Grundlagen, wie, wo finde ich den Boden? 😉
Andere Einschätzungen besagen, dass der durchschnittliche Straßenkampf nur 4 Sekunden dauert. Das kann auf Überraschungsangriffe mit dem berüchtigten Sucker Punch durchaus zutreffen.
Wie auch immer. Es macht durchaus Sinn, sich mit dem Bodenkampf in der Selbstverteidigung auseinanderzusetzen.
Eine gute Basis im Bodenkampf, dient dir als Grundlage diesen im Idealfall zu vermeiden und so schnell als möglich wieder hochzukommen. Der Idee von manchen allzu „Boden verliebten „Zeitgenossen, den Kampf absichtlich auf den Boden zu bringen, solltest du aber mehr als skeptisch gegenüber stehen.
Die Gracie Familie hat sich um das BJJ sehr verdient gemacht und hat eine Vielzahl herausragender Kämpfer hervorgebracht. Das schützt Vertreter dieser Linie aber nicht in jedem Fall vor Fehlschlüssen und einer gewissen Betriebsblindheit.
Am Beispiel des Messerabewehr-Videos zeigt sich das leider überdeutlich. Aus der Sicht von Menschen, die mit Waffen trainieren, ist das oben Gezeigte nicht zu empfehlen. Viele von uns würden das als groben Unfug bezeichnen, um es vorsichtig zu formulieren.
In diesem Beitrag haben wir uns dem Thema Messerangriffen ausgiebig gewidmet.
Voto Studios Gracie breakdown:
Hier siehst du eine humorvolle Analyse eines „realistischen“ Bodenkampfes, wie ihn sich viele Sportler aus dem Grappling Bereich wünschen – vermutlich. Der Polizist macht genau das, was er im sportlichen Wettkampf trainiert hat. Mit augenscheinlichem Erfolg.
Was spricht gegen Bodenkampf in der Selbstverteidigung?
Im obigen Video weist uns Jesse schon mehr oder weniger dezent darauf hin. Hätten Freude des Verdächtigen, anstatt polizeiliche Verstärkung eingegriffen, hätte das Szenario völlig anders ausgesehen.
Der Polizist wäre auch in seiner dominanten Position hilflos Schlägen und Tritten Dritter ausgeliefert gewesen. Schlimmer noch, bewaffnete Angreifer hätten hier sehr leicht lebensgefährliche Verletzungen verursachen können.
Der Polizist hätte keine Möglichkeit gehabt, dem auszuweichen. Wir hätten dann ein Lehrvideo dafür, warum man niemals freiwillig die Bodenlage suchen sollte.
Jesses Analyse zu dieser, halb sportlichen Auseinandersetzung und dem Einfluss von Dritten (und Tritten) auf das Kampfgeschehen.
Abgesehen davon, ist die Bodenbeschaffenheit in der Regel nicht mit den Annehmlichkeiten verbunden, die ein Mattenboden bietet.
Asphalt, Steine oder gar Glasscherben am Boden können eine Rangelei am Boden sehr unangenehm gestalten.
Drei grundlegende Positionen am Boden
- Full Mount: Die dominante Person sitzt auf dem Bauch bzw. der Brust seines Gegners. Der unten liegende ist in einer denkbar schlechten Position und muss mit hoher Wahrscheinlichkeit die von oben kommenden Schläge mit voller Wucht nehmen. Eine Vorstellung davon bekommst du, wenn du dir das sogenannte „Ground and Pound“ im MMA ansiehst.
- Guard position: Der Verteidiger liegt am Rücken und hat den Rumpf des knienden oder stehenden Gegners mit seinen Beinen umschlungen. Im Sport gilt diese Position als neutral. In einer Notsituation sind die Genitalien des Verteidigers exponiert und leicht angreifbar. Der am Rücken liegende, sollte versuchen seine Knie zum Bauch, Rumpf Bereich des Gegners zu bringen, um wenn möglich Tritte zu nutzen und wieder hochzukommen.
- Einer steht, einer liegt: Die gängigste Methode ist am Rücken liegend, die Beine auf den stehenden Angreifer auszurichten und ihn mit Tritten auf Distanz zu halten. Möglicherweise gelingt es dem Verteidiger auch mittels spezieller Techniken, zum Beispiel eine Art „Schere“ mit den Beinen, den Angreifer zu Boden zu bringen. Dann kann er ihn möglicherweise, mit abwärtsgerichteten Tritten mit der Ferse hart treffen. Es gibt auch noch andere Methoden. Allen gemein ist das Ziel, so schnell wie möglich wieder aufzustehen.
Grappler mögen es mir nachsehen, wenn wir uns im Zusammenhang mit Selbstverteidigung auf die 3 Positionen beschränken.(Ich will auch nicht den Versuch wagen, euch euren Sport zu erklären. Vielleicht sehen manche von euch auch mal davon ab, uns, die wir in den FMA mit Waffen trainieren, den Umgang mit Messern und Stöcken nahezubringen. 😉 )
Bodenkampf für die Straße?
Die Regeln:
- Gehe nicht zu Boden, wenn du es nur irgendwie vermeiden kannst. (Leichter gesagt, als getan!)
- Du musst, falls du zu Boden gegangen bist, so schnell wie möglich wieder aufstehen. Bodenkampf in der Selbstverteidigung darf niemals Selbstzweck sein. Du weißt nicht, ob Außenstehende eingreifen werden. In diesem Fall kann dir selbst eine dominante Position zum Verhängnis werden. In Notwehrsituationen ist dafür fast jedes Mittel recht. (Beachte jedoch die geltenden Gesetze und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Notwehrrecht.) Am Boden bist du deinen Gegnern, oder einem Gegner in dominanter Position, noch mehr ausgeliefert als im Stand. Schläge und Tritte zum Kopf und Körper entfalten hier noch verhängnisvollere Wirkung als im Stehen. Dein Körper kann liegend nicht mehr nachgeben und ausweichen. So muss der Getroffene oft die volle Angriffswucht absorbieren. (Tritte und Schläge, wenn Körper oder Kopf am Boden aufliegen.) Hier befindest du dich in einer absolut lebensbedrohlichen Situation.
Nicht sportliche Geheimtechniken am Boden?
Wir alle kennen sie. Die Theoretiker die praktischen Vorschläge unterbreiten, ohne Ahnung zu haben, worum es wirklich geht.
Nein, es gibt sie nicht, die Wundertechniken, die dir jahrelanges Training ersparen und routinierte Sportler in ihrem Bereich zu hilflosen, gefügigen Opfern machen.
Alle unsportlichen Aktionen, die der Untrainierte bringen kann, kann der Trainierte noch viel besser anwenden, wenn er will. Trotzdem wäre es ein Fehlschluss, sich nur mit dem sportlichen Bodenkampf auseinanderzusetzen, wenn man „Selbstverteidigung“ denkt.
Ein Beispiel:
Richard Dimitri zeigt hier sehr wirkungsvolle „unsportliche“ Taktiken. Wer auf diese Art trainiert hat, weiß: Sobald dir dein Gegner in die Augen fährt, das Gesicht zerkratzt, ein Ohr abreißt (Nicht im Training bitte!), setzt Panik ein.
Gegen natürliche, reflexhafte Schutzmechanismen kommt kein Training an. Du willst nur mehr weg, von der Gefahrenquelle. Technische und taktische Überlegungen spielen dann keinerlei Rolle mehr. Die gezeigten Taktiken sind also äußerst effektiv und bedürfen, um sie anwenden zu können, vergleichsweise wenig Trainingsaufwand.
„Dolch Rammstoß“ – Takedown für die Straße
Eine interessante Vorgehensweise, die ich sowohl bei Andreas ‘Andyconda’ Schmidt im Luta Livre, als auch bei Bernd Schubert im Escrima kennengelernt habe, ist der „Dolch Rammstoß“. Im Luta Livre, einem dem BJJ sehr ähnlichen Grapplingstil, versteht man darunter, mit maximalem Eigenschutz den Gegner zu takeln und zu Boden zu bringen. Beide Arme schützen den Kopf. Ein Ellenbogen ist nach vorne gerichtet, während dein Gesicht zwischen Ober – und Unterarm Schutz findet. In der waffenlosen Variante wird der Ellenbogen zum Rammen des Gegners benutzt.
Dieselbe Vorgehensweise, habe ich im Escrima kennengelernt. Seit dem weiß ich, warum diese Technik so genannt wird. Die Vorgehensweise dürfte sich also international bewährt haben. Das mit und ohne Dolch.
Diese Technik stellt eine äußerst simple und effektive Art dar, gegen seinen Gegner vorzugehen, um ihn zu Boden zu bringen. Das Problem dabei ist, wie bei allen Takedowns: Auf der Straße willst du selbst stehen bleiben und nicht mit runtergehen. Natürlich gibt es auch dafür geeignete Techniken. Das birgt aber auch Gefahren für den Ausführenden. Dazu weiter unten mehr.
Wie kann man Takedowns verhindern?
Da das Risiko für Leib und Leben in einer Notwehrsituation weiter ansteigt, wenn du zu Boden gehst, musst du versuchen, die Situation zu meiden. Wenn du genug Raum hast, solltest du das über Beinarbeit versuchen und aus der Angriffslinie gehen. Oft reichen hier schon kleine Schritte und Winkeländerungen, um deutlich besser dazustehen.
Im MMA wird eine Technik geübt, die sich Sprawl nennt.
Hier wird sehr gut erklärt, wie er funktioniert. Der Sprawl ist keine rein passive Aktion. Die Hüfte wird aktiv eingesetzt! Der Sprawl macht dann Sinn, wenn du nicht mehr aus der Angriffslinie kommst.
Warnung
In diesem Blog geht es schwerpunktmäßig um Selbstverteidigung. Wir sehen uns, wenn möglich und sinnvoll, immer die Vorgehensweisen von Kampfsportlern an. Diese erreichen durch ihr am Wettkampf orientiertes Training, oftmals sehr hohe Standards. In den Dingen, die sie in ihrem Sport benötigen!
Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir hier nicht über Sport reden. Viele Ringer sind grundsätzlich der Meinung, dass Takedowns kaum verhindert werden können. Das lehrt sie ihre persönliche Erfahrung aus ihrem Sport.
Aber – nicht umsonst – gibt es den Spruch: „Jemanden ins offene Messer laufen lassen.“ Der kommt nicht von ungefähr, sondern war mal wortwörtlich gemeint. Diese Dinge müssen wir im Hinterkopf behalten, wenn wir Selbstverteidigung denken und uns entsprechend verhalten. Flucht ist, wenn möglich, immer die beste Alternative in der Selbstverteidigung.
Fazit – Bodenkampf in der Selbstverteidigung
Bodenkampf in der Selbstverteidigung spielt eine wichtige, aber untergeordnete Rolle. 😉
Er sollte, wann immer möglich, vermieden werden. Am Boden bist du eine „Sitting Duck“ – eine Zielscheibe – besonders dann, wenn noch Dritte involviert sind. Am Boden musst du viele Angriffe mit voller Wucht nehmen, da dein Körper nicht mehr die Möglichkeit hat zu entweichen.
Es macht Sinn für die Selbstverteidigung grundlegende Positionen zu kennen und zu verstehen. Schmutzige Tricks funktionieren, am besten allerdings auf einer Basis sportlicher Fähigkeiten. Wundertechniken alleine sind zu wenig!
Trainiere so schnell als möglich wieder auf die Beine zu kommen! Vergiss nie, dass im Ernstfall jederzeit Waffen ins Spiel kommen können und verhalte dich dem entsprechend vorsichtig.