Combatives Selbstverteidigung – Konzepte – Techniken – Stile


Combatives

Die Suche nach einer effektiven Selbstverteidigungsmethode, die effektiv, schnell erlernbar und Fähigkeiten, die mit einem Minimum an Trainingsaufwand aufrechterhalten werden können, bewegt viele Menschen. Kampfkünste und Kampfsportarten werden diesen Anforderungen selten bis nie gerecht. Das führte zur Entwicklung der sogenannten Combatives.

Unter Combatives werden realitätsnahe Selbstverteidigungsmethoden zusammengefasst, die schnell erlernbar, effektiv und unter großem Stress (grobmotorisch) noch umsetzbar sind. Szenariotrainings sind wichtige Elemente des Trainings, wenn es darum geht, so realistisch wie möglich zu üben.

  • Der Begriff Combatives steht als Oberbegriff, für realistisches Selbstschutztraining, ohne jedoch selbst einen eigenen Stil darzustellen. Er fasst in der Praxis bewährte Konzepte und Techniken zusammen, die auch von den persönlichen Erfahrungen und Vorlieben der jeweiligen Lehrer beeinflusst werden.
  • Die Combatives entstanden aus dem militärischen Nahkampftraining von US-Soldaten während der Weltkriege.
  • Die Combatives widmen sich allen Aspekte der Selbstverteidigung.  Effektive körperliche Gegenwehr ist zwar ein wesentlicher Bestandteil des Trainings, Aspekte wie das Erkennen von Bedrohungen, das Meiden gefährlicher Situationen, Möglichkeiten des Deeskalation werden ebenso gelehrt.
  • Bekannte Vertreter sind Lee Morrison (Urban Combatives), Tony Blauer (Speer System), Tobias Brodala, Richard Dimitri, Craig Douglas und Mick Coup.

Warum Combatives – die Konzentration auf das Wesentliche

Lange Zeit galt die örtliche Judo- oder Karateschule als erste Adresse, wenn es um das Thema Selbstverteidigung ging. Man war der Ansicht, dass eine Kampfkunst oder eine Kampfkunst automatisch auch alle relevanten Fähigkeiten schult, die im Ernstfall, einer Notwehrsituation benötigt würden.

Das trifft nicht zu!

Die Combatives haben zum Ziel, mit einem Minimum an Trainingsaufwand ein Maximum an Selbstverteidigungsfähigkeit zu erlangen.

Combatives – Unterschied zu Kampfkunst/Kampfsport

Combatives sind, im Unterschied zu Kampfsport/Kampfkunst, einzig und allein auf den realen nicht sportlichen Kampf in Notwehrsituationen ausgelegt und mit allem, was damit in Verbindung steht. Dazu gehören psychologische, rechtliche und Ersthilfe Aspekte.

Realistisches Selbstverteidigungstraining unterscheidet sich jedoch wesentlich von dem, was in Kampfsportarten oder Kampfkünsten betrieben wird. Diese Erkenntnis hat sich bis heute noch nicht vollständig herumgesprochen, wobei allgemein der Zugang zum Thema Selbstverteidigung zunehmend realistischer wird.

Während Kampfkünste oft eine unrealistische idealisierte Herangehensweise an das Thema Kampf haben und sich oft als Lebensschule durch Kampfkunst verstehen, (Das Weg Ideal – Do) orientieren sich die Kampfsportarten an ihrem jeweiligen Regelwerk. Das schränkt die technischen Möglichkeiten im Kampf ein und hat, abhängig vom Sport, oft nur sehr wenig mit realem regellosem Kampf zu tun.

Diese Erkenntnisse schmälern auf keinen Fall den Wert, die Kampfkunst und Kampfsport haben. Es mach aber den Unterschied zu den auf realen Kampf ausgelegten Combatives deutlich.

In der Selbstverteidigung geht es nicht um sportliche Fairness und ritterliche Haltung, sondern um plötzliche, brutale und fast immer sinnlose Gewalt. Die Combatives versuchen dieser Situation, so gut als möglich gerecht zu werden.

Darum werden neben der körperlichen Auseinandersetzung, auch alle anderen Aspekte in der Selbstverteidigung behandelt. Die alte Weisheit, ein vermiedener Kampf ist ein gewonnener Kampf, gilt heute genauso wie ehedem. Selbst für den routiniertesten Kämpfer birgt ein Kampf immer noch das Risiko zu verlieren oder verletzt zu werden.

Combatives Konzepte – Konfliktphasen

Die Selbstschutz – Konzepte in den Combatives behandeln zwingend die folgenden Phasen:

  1. Vorkonfliktphase/pre Conflict
  2. Konfliktphase/Conflict
  3. Nachkonfliktphase/post Conflict

Vorkonfliktphase/pre Conflict

Wer aufmerksam durchs Leben geht, lebt sicherer und vermutlich länger. Konflikte kündigen sich dem aufmerksamen Beobachter früher und deutlicher an als dem „Traumtänzer“ der nichts Böses ahnend unaufmerksam durchs Leben geht.

Im Idealfall lassen sich potenzielle Gefahrensituationen schon im Vorfeld vermeiden. Das beginnt mit einer Risikoabwägung in alltäglichen Handlungen. Welchen Weg nehme ich nach Hause. Ist die Abkürzung durch den Park möglicherweise gefährlich. Lieber ein Taxi nehmen als zu Fuß zu gehen? Gehe ich in Begleitung aus oder allein? Wie schnell reagiere ich auf sich auffällig verhaltende Personen oder Personengruppen.

Der Cooper Farbcode, ursprünglich aus dem militärischen Bereich, hat sich auch für die zivile Selbstverteidigung bewährt.

Detaillierte Informationen zum Cooper Farbcode findest du hier.

Grundsätzlich geht es darum, ganz bewusst zwischen unterschiedlichen Aufmerksamkeitsstufen, je nach Umfeld zu wechseln.

In der Vorkonfliktphase kommt es auch schon zu einem Kontakt, mit dem potenziellen Täter. Hier ist wesentlich, das wird oft vergessen oder nicht ernst genug genommen, nach Möglichkeit keinen Kontakt zustande kommen zu lassen.

Bernd Schubert, Sicherheitstrainer/Escrimalehrer (ETF) empfiehlt hier explizit – kein Ansprechpartner sein, keinen Kontakt! In seinem Buch „Street Safety“ geht er detailliert darauf ein und stellt Lösungsansätze vor.

Hat das Gegenüber erst einmal angedockt, ein Gespräch begonnen, nimmt das Unheil mit großer Wahrscheinlichkeit seinen Lauf.

Zwar gibt es dann noch Methoden der Abschreckung und Deeskalation, der Gesprächsentschärfung, die greifen aber auch nur dann, wenn das Gegenüber daran interessiert ist. Aus dem Grund ist es am sichersten, alle potenziell gefährlichen Situationen im Vorfeld zu meiden.

Die Körpersprache spielt in der Vorkonfliktphase und in der Konfliktphase eine erhebliche Rolle. Wer gelernt hat, sie zu lesen, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit richtig und angemessen handeln können.

Konfliktphase/Conflict

In der Konfliktphase kündigt sich die Gewalt schon unmittelbar an, ist nicht mehr zu vermeiden oder ist bereits im Gange.

Das Notwehrrecht greift in Deutschland und Österreich, wenn ein rechtswidriger Angriff auf notwehrfähige Güter (Leib, Leben, Eigentum) unmittelbar bevorsteht oder bereits im Gange ist.

Die größten Erfolgschancen in einer körperlichen Auseinandersetzung hat der, der als erster hart genug zuschlägt.

Im „Idealfall“, wenn man es so nennen möchte, kommt es gar nicht zu einem Kampf, weil dieser unmittelbar unterbunden wurde. Der Aggressor ist nicht mehr kampffähig, es bietet sich die Möglichkeit zur Flucht, die Notwehrsituation ist rechtlich beendet. (Jede weitere Aktion würde eine Notwehrüberschreitung bedeuten.)

Um die Erfolgschancen des „Verteidigers“ zu erhöhen, greifen die Combatives und realistische Selbstverteidigungsmethoden auf das sogenannte „preemtiv striking“ zurück. Der englische Ausdruck steht für den präventiven Erstschlag, um einem unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorzukommen. Notwehrrechtlich ist dies gedeckt. Allerdings besteht immer das Risiko, dies vor Gericht, nicht glaubwürdig darlegen zu können und bestraft zu werden.

Hier kann sich auch massiv das Problem der Notwehrüberschreitung stellen. Mit verketteten Angriffen nachzusetzen und den bereits getroffenen Gegner weiter anzugreifen ist vom rein kämpferischen Standpunkt sinnvoll. Er soll einfach keine Chance mehr bekommen, sich zu erholen und zum Gegenangriff überzugehen.

Was taktisch sinnvoll ist, kann rechtlich aber zum massiven Problem werden.

Wie du bevorstehende Angriffe besser erkennen kannst, habe ich hier beschrieben: Angriffssignale erkennen – Körpersprache richtig lesen

Nachkonfliktphase/post Conflict

Die Nachkonfliktphase in der Notwehr umfasst, die Ersthilfe bei Verletzungen und den juristischen und psychologischen Aspekt der vorangegangenen Auseinandersetzung.

Ein niedergeschlagener bewusstloser Kontrahent muss in stabile Seitlage gebracht werden, Ersthilfe zu leisten, einen Arzt und die Polizei zu rufen gehören ebenfalls dazu.

Ein Check nach unbemerkten, möglicherweise schwerwiegenden Verletzungen, am eigenen Körper sollte ebenso erfolgen. Oft wird das Schmerzempfinden durch den stressbedingt hohen Adrenalinspiegel sehr weit herabgesetzt. Manchmal bleiben deshalb sogar Messerwunden und vergleichbare Verletzungen vorderhand unentdeckt.

Kommt es zu einem gerichtlichen Nachspiel, solltest du Argumente und Zeugen auf deiner Seite haben, die dein rechtmäßiges Vorgehen in Notwehr untermauern und beweisen.

Massive Gewalt führt oft zu Traumata. Auch hier gilt es Traumatisierungen zu erkennen und sich im Zweifelsfall medizinische Hilfe zu holen.

Combatives Kampftechniken

Die Kampftechniken in den Combatives sind bewusst einfach und grobmotorisch gehalten. Komplizierte Techniken sind in Hochstresssituationen nicht mehr anwendbar. Zum Schlagen werden überwiegend die offene Hand, die Ellenbogen und die Knie verwendet. Zum Schutz wird eine Art Doppeldeckung genutzt.

Die Schläge dienen im Idealfall dazu, den Gegner kampfunfähig zu machen, werden aber auch dazu genutzt, ihn zu schwächen und von weiteren Angriffen abzuhalten, um selber offensiv werden zu können, oder ein Fluchtfenster zu öffnen.

Der Einsatz der offenen Hand in den Combatives

Die menschliche Hand ist beim Schlagen sehr verletzungsanfällig. Das haben selbst schon viele Profiboxer in Kämpfen trotz Bandagen und Boxhandschuhen erleben müssen. Ohne Handschuhe ist die Faust noch wesentlich verletzungsanfälliger, vor allem dann, wenn das anvisierte Ziel im Eifer des Gefechts nicht getroffen wird. Mit dem entsprechenden Training ist es durchaus möglich, einen Kontrahenten mit der ungeschützten Faust bewusstlos zu schlagen.

Trifft der Schlag aber beispielsweise den harten Schädel, anstatt den anvisierten Kiefer, kann das zu schweren Handverletzungen führen.

Aus diesem Grund sind Schläge mit der offenen Hand sicherer und ermöglichen es den meisten Menschen härter zu schlagen, weil das Unterbewusstsein mehr Kraft freigibt. Die Angst davor sich an der Hand zu verletzen ist geringer.

Die Hammerfaust 

Bei der Hammerfaust wird der Unterarm, bzw. der Faustboden zum Schlagen genutzt. Der Begriff ist insofern irreführend, als nicht mit der Faust im eigentlichen Sinn geschlagen wird. Die Hammerfaust kann mit und ohne Waffe (Kubotan, Kugelschreiber..) verwendet werden.

Die Hammerfaust findet oft in den Mixed Martial Arts Anwendung, und hat sich im Ground an Pound, beim Schlagen auf einen am Boden liegenden Gegner besonders bewährt. Sie kann aber auch im Standkampf sinnvoll eingesetzt werden. Auch hier gilt es, wie bei den Schlägen mit der offenen Hand, diese vor Verletzungen zu schützen.

Combatives Ellenbogen und Knie im Infight

Im absoluten Nahkampf nutzen die Combatives Ellenbogen und Knie zum Schlagen. Mit diesen Techniken kann ausgesprochen viel Wucht entfaltet werden, bei entsprechender Körpermechanik, gleichzeitig bleibt das Risiko von Eigenverletzungen gering.

Ellenbogen und Knie sind wesentlich weniger verletzungsanfällig, wenn sie zum Schlagen genutzt werden, als die menschliche Hand. Gerade für Laien ist es relativ einfach, hier eine entsprechende Schlagkraft und damit Schlagwirkung zu erzielen.

Knie werden oftmals aus dem Clinch heraus verwendet. Der Gegner wird dabei am Nacken gezogen, während sein Kopf und Rumpf attackiert wird.

Tritte in den Combatives

In den Combatives werden Tritte, selten gebraucht. Das Risiko beim Treten auszurutschen, das Gleichgewicht zu verlieren und an Mobilität einzubüßen ist hoch. Werden Tritte verwendet, dann zu tief liegenden Zielen, in der Regel nicht über Kniehöhe. Ziele sind meist Sprunggelenk, Schienbein, Knie.

Mein detaillierter Artikel zum Thema Treten in der Selbstverteidigung.

Der Combat Clinch

Der Clinch kommt aus dem Ringkampfsport. Die Kontrahenten sind aneinander gebunden, umklammern einander, nutzen sogenannte Overhooks und Underhooks, um einander zu kontrollieren. In den Combatives wird der Clinch auch zum Schlagen genutzt. Würfe und Take Downs sind aber genauso möglich.

Taktisch kann der Clinch unterschiedlich eingesetzt werden.

Die absolute Nahdistanz macht effektives Schlagen für die Gegner schwer, andererseits bindet er an den Gegner, was auch massive Nachteile mit sich bringen kann.

Die Möglichkeit zu flüchten ist eingeschränkt. Zieht einer der Beteiligten eine Waffe (Messer), kann dies unentdeckt geschehen und das Opfer ist unzähligen Attacken schutzlos ausgeliefert. Sollten, was sehr häufig vorkommt, Umstehende in die Auseinandersetzung eingreifen, sind die Ringenden, ebenfalls weitgehend schutzlos. Sie sind nicht mobil genug, um auszuweichen, ihre Sicht ist sehr eingeschränkt und ihre Arme zur Abwehr sind ebenfalls gebunden.

Es gibt also gute Gründe für und gegen das Clinchen. Oft ergibt er sich aus der Kampfhandlung. Ist ein Kämpfer angeschlagen, wird er instinktiv versuchen zu clinchen, um sich weiteren Schlägen zu entziehen. Das sehen wir regelmäßig in Boxkämpfen.

Fähigkeiten im Clinch sind auf jeden Fall erstrebenswert, denn sie ermöglichen es dir auch diesen zu meiden oder dich schnellstmöglich zu lösen, falls die Lage es erfordern sollte.

Combatives – schmutzige Techniken

Die Combatives nutzen, da es in einer Notwehrsituation nicht um sportliche Fairness geht und in der Regel körperliche Nachteile ausgeglichen werden müssen, schmutzige, im Sport verpönte Techniken. Dazu gehören, Fingerstiche, Kratzen, Beißen und Angriffe auf Vitalpunkte.

Es geht ausschließlich darum, sicher und möglichst unbeschadet nach Hause zu kommen. Hier ist jedes Mittel recht.

Deckung in den Combatives – Cover

Der Eigenschutz in den Combatives wird durch eine Art modifizierte Doppeldeckung, wie wir sie aus dem Boxen kennen, erzielt. Es geht hier vor allem darum, schwere kampfentscheidende Treffer zu vermeiden. Der Kopf wird durch Arme, Unterarme und Ellenbogen gedeckt.

Anstatt einzelne Schläge, wie in vielen Kampfsportarten und Kampfkünsten praktiziert, einzeln zu blocken oder zu parieren, setzen die Combatives auf eine Art Universaldeckung. Die soll einfach, natürlich, instinktiv anwendbar und weniger fehleranfällig, was Finten und Lücken anbelangt, sein. Der Grundgedanke ist, sich reflexhaft zu schützen und kampfentscheidende Treffer zu vermeiden, um weiter handlungsfähig zu bleiben.

Mit etwas Glück verletzt sich der Aggressor beim Schlag an die Deckung sogar an der Hand. Trifft die Faust auf einen Ellenbogen, ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall.

Beim Cover – Crash – Counter wird die Deckung aggressiv genutzt, um den Gegner zu rammen, sein Gleichgewicht zu stören und dann zum Gegenangriff überzugehen. Vielfach werden einfache Techniken miteinander verkettet, um den Gegner auszuschalten. Aus kämpferischer Sicht sehr sinnvoll, aus rechtlicher Sicht kann diese Vorgehensweise aber problematisch werden, denn die Notwehrsituation gilt als beendet, wenn vom Gegner keine Gefahr mehr ausgeht.

Wer also im Eifer des Gefechts nachsetzt, obwohl es nicht mehr erforderlich war, muss mit juristischen Problemen rechnen.

Waffen in den Combatives

In den Combatives werden auch, so verfügbar, Alltagsgegenstände oder Waffen benutzt, um sich des Angreifers zu erwehren. Diese Werkzeuge erhöhen die eigene Kampfkraft deutlich, können schwerste Verletzungen beim Aggressor anrichten und sich deshalb nicht unumstritten.

Grundsätzlich sind Alltagsgegenstände in vielerlei Hinsicht als Hilfsmittel besser geeignet als Waffen im Sinne des Gesetzgebers.

Ein Kubotan oder ein stabiler Kugelschreiber können äußerst effektiv eingesetzt werden und verursachen je nach Beschaffenheit auch keine Stichverletzungen, sondern nur stumpfe Traumata. Ich würde jedem empfehlen, stumpfe Varianten zu benutzen.

Die haben, mit der richtigen Körpermechanik ausgeführt, enorme Wirkung und können immer noch dosiert eingesetzt werden. Komischerweise sind stumpfe Schlagkraftverstärker immer schwerer zu bekommen.

Ein Rettungsmesser (Werkzeug) besser als ein ausgewiesenes Kampfmesser. Ich persönlich rate dir aber von Messern zur Selbstverteidigung ab.

Manche Systeme und Instruktoren haben für sich den Schluss gezogen, dass in Notwehr Waffen benutzt werden sollen.

Für sie ist der Waffengebrauch nicht nur eine sinnvolle Option, sondern er wird schon von Beginn an angestrebt.

Von der Prämisse ausgehend, dass der Verteidiger grundsätzlich körperlich unterlegen sei, wäre der Einsatz von Waffen, die erfolgversprechendste Möglichkeit sich eines Angreifers zu erwehren. Manche Instruktoren unterrichten deshalb ihre Schützlinge im Gebrauch von Messern.

Ob das angemessen und sinnvoll ist, ist heftig umstritten. Messer können nur sehr schwer dosiert eingesetzt werden und führen meist zu sehr schweren Verletzungen. Es ist eher nicht davon auszugehen, dass eine Person im Hochstress in der Lage sein wird, ihre Waffe noch gezielt zu führen.

Hier werden dann der Tod oder zumindest schwerste Verletzungen beim Gegner angestrebt oder zumindest in Kauf genommen. Das kann dem Verteidiger spätestens vor seinem Richter zum Verhängnis werden.

Combatives Trainingsmethoden

Die Trainingsmethoden in den Combatives versuchen den Ernstfall, in einem sicheren Umfeld, so realistisch wie möglich zu simulieren. Das wird durch Szenariotrainings/Rollenspiele in entsprechender Umgebung und einer Vielzahl von Drills erreicht. So soll Gewöhnung an Stress und Situationen erfolgen.

Schlagkrafttraining

Dem Schlagkrafttraining wird viel Wert zugemessen. Es ist ja essenziell Wirkung zu erzielen und es gilt je härter, umso besser. Dazu werden Schlagpolster, Pratzen und eine spezielle Schutzausrüstung benutzt. Es werden sowohl reines Schlagtraining als auch Schlagtraining in Szenarien geübt.

In den Szenarien bietet der Trainingspartner dem Übenden mit den Pratzen ein realistisches Ziel, auf das er in der Übung schlagen kann. Wann und ob, entscheidet sich im Verlauf des Szenarios.

Spezielle Schutzanzüge, die den gesamten Körper und Kopf weitestgehend vor harter Schlageinwirkung schützen, werden gerne in diversen Szenarios und Rollensparringsübungen verwendet. Das erlaubt den Partnern mit Kraft zu schlagen und einen Ernstfall sicher zu simulieren. So weit dies im Training überhaupt möglich ist. (Model Mugging)

Techniktraining

Da das Training in den Combatives auf Selbstverteidigung ausgerichtet ist, bleibt meist deutlich weniger Zeit für das Training von Kampftechniken als in Kampfsportarten oder Kampfkünsten. Es müssen ja viele Trainingsinhalte abgedeckt werden und die Trainingshäufigkeit ist überwiegend deutlich geringer in den Combatives.

Das Repertoire an Grundtechniken ist auch aus diesem Grund möglichst klein gehalten, abgesehen davon, dass wie bereits erwähnt, nur einige wenige Techniken in Hochstresssituationen abrufbar sein werden. Diese müssen aber instinktiv und wirkungsvoll beherrscht werden.

Szenariotrainings – Rollenspiele

Die Szenariotrainings dienen in den Combatives dazu, einen Ernstfall möglichst realitätsnahe zu simulieren. Dazu wird der Schüler in Situationen mit ungewissem Ausgang gebracht. Körpersprache, verbale Auseinandersetzungen, in einer realistischen Umgebung, bis hin zum Kampf werden so nachgestellt.

Meist wird ein spezieller Aspekt eines Szenarios gezielt gedrillt, da der Aufbau eines Gesamtszenarios sehr aufwendig ist.

So können wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse für die Selbstverteidigung gesammelt, erlebt und verinnerlicht werden.

Trainiert wird an allen möglichen Orten. Es gibt sogar Themen -Seminarangebote, die sich ausschließlich der Selbstverteidigung im Auto, Zug oder Flugzeug widmen.

Combatives – Drills

Bewegungen immer und immer wieder zu wiederholen, bis sie automatisch ohne zu denken ablaufen ist das Ziel diverser Drills. Wann ist es Zeit, den Aggressor anzugreifen, wann der Zeitpunkt zu flüchten? Zielführende Verhaltensweisen werden immer wieder gedrillt, auch unter Nutzung diverser Szenarien, bis sie verinnerlicht wurden.

Die genau Abgrenzungen zwischen Drills und Szenarien sind in Fachkreisen umstritten.

Wir unterscheiden der Einfachheit Technikdrills und Drills als Teil eines größeren Szenarios.

Welche Rolle spielt Abhärtung in den Combatives?

In eigenen, realitätsnahen Übungen werden die Schüler an alle Arten von Stress gewöhnt. Von verbalem Missbrauch, bis hin zu körperlichen Angriffen. Immer und das ist wesentlich, mit dem Ziel eine gewisse Resilienz zu erreichen und dabei den Schüler nicht zu traumatisieren oder körperlich zu schädigen. Gewisse Übungen sollten vorher besprochen werden und auf Freiwilligkeit beruhen.

Es handelt sich ja schließlich um Training für den Ernstfall und nicht um einen Ernstfall im Training. Erfahrene Trainer sind hier gefordert.

Ein Übungsbeispiel wäre es den Partner in seiner Deckung verharren zu lassen, er darf sie anpassen, aber nicht verlassen und ihn, mit Boxhandschuhen oder Schlagpratzen an den Händen, mit Schlägen zu „füttern“.

Die Schläge sollen kontrolliert sein, aber doch Stress und Unbehagen auslösen. Ziel der Übung den Partner daran zu gewöhnen, dass er getroffen wird.

Combatives Systeme und Lehrer

Die Combatives stellen eine Zusammenstellung von Lehr- und Trainingsmethoden zum Selbstschutz darstellen dar, die einfach und schnell zu erlernen und unter großem Stress noch umsetzbar sein müssen. Eine genaue Abgrenzung zu anderen Kampfmethoden gibt es nicht.

Bekannte Lehrer, die sich auf die Inhalte der Combatives spezialisiert haben, auch wenn sie teilweise unter anderem Namen firmieren:

  • Lee Morrison (Urban Combatives)
  • Tony Blauer (Speer System)
  • Nick Drossos
  • Richard Dimitri
  • Craig Douglas
  • Mick Coup
  • Geoff Thompson
  • Tobias Brodala
  • Stefan Reinisch (Buchautor)

Wo kann man Combatives erlernen?

Combatives werden meist in Seminarform unterrichtet. Sie dienen Laien, Kampfsportlern und Kampfkünstlern oft als Ergänzung und zur Lückenfüllung ihres Selbstverteidigungswissens.

Natürlich gibt es einige Anbieter, die sich vorderhand rein auf die Selbstverteidigung konzentrieren. Bei genauerem Hinsehen, spielen dann Fitnesstraining, Graduierungen und oft verspielte unrealistische Techniken eine nicht unwesentliche Rolle. Das ist verständlich, denn schließlich haben die Schüler unterschiedliche Bedürfnisse und wollen auch nicht bei jedem Training mit möglichst realitätsnahen lebensbedrohenden Szenarien konfrontiert werden.

Auf Dauer ist es für die menschliche Psyche nicht angenehm, bei mehrmaligem Training in der Woche, mit solchen Situationen konfrontiert zu werden – und wichtiger auch nicht sinnvoll.

Wer kann Combatives trainieren?

Das Training in den Combatives richtet sich an alle, die sich mit dem Thema Selbstverteidigung beschäftigen oder beschäftigen wollen. Für viele Kampfsportler und Kampfkünstler kann das Training eine wertvolle Ergänzung zu ihren Fähigkeiten darstellen. Laien werden mit einer realistischen Sicht zum Thema Selbstverteidigung konfrontiert und sind hier sicher besser aufgehoben als beim durchschnittlichen Karate/Judo Selbstverteidigungskurs.

Nicht gegen oben genannte Kampfsportarten. Es ist aber Tatsache, dass hier vielfach Kurse unter falschem Namen angeboten werden, die eigentlich dazu dienen, die Schüler zum Training im Verein oder der Schule zu motivieren, unter falschen Voraussetzungen. Das ist zutiefst unseriös, geht es doch um Gesundheit und Leben der Schüler, die in aller Regel nicht beurteilen können, wie sinnig das ist, was sie da im Training treiben.

Fazit Combatives – moderne Selbstverteidigung

Das Konzept der Combatives ist schlüssig und hat sich schon viele Jahre bewährt. Pure Selbstverteidigung für jeden möglichst schnell erlernbar, Konzentration auf das Wesentliche.

Ich würde das eine oder andere Seminar, jedem interessierten durchaus empfehlen, unabhängig von seinem sportlichen Hintergrund. Wer nebenbei auch noch einen Kampfsport oder eine halbwegs realistische Kampfkunst (Keine dubiosen asiatischen Kampfkünste bitte!) ausübt, ist sicherlich im Vorteil. Er wird über ein besseres Körpergefühl verfügen, härter schlagen können und meist eine gewisse Sparringserfahrung mitbringen, die nicht nachteilig sein sollte.

Wer also Interesse an Combatives hat, sollte sich das, falls er seuchenbedingt gerade Freigang haben sollte, bei einem renommierten Lehrer ansehen.

Tobias Brodala und Stefan Reinisch sind diesbezüglich sicher gute Adressen im deutschsprachigen Raum.

Wer sich mehr Zeit nehmen will, der kann auch andere realistische Kampfmethoden trainieren, wie sie beispielsweise die ETF (Escrima) anbietet. (Ein bisserl Eigenwerbung darf sein.)

Was immer ihr auch macht – Viel Spaß beim Training!

Martin

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