Tierstile im Kung-Fu -Taugen sie im Kampf?


Tierstile im Kung-Fu
Tierstile im Kung-Fu

Aus dem chinesischen Kung-Fu sind uns eine Vielzahl an Stilen und Techniken überliefert, die sich an den Bewegungen von Tieren orientieren. Aus der Beobachtung der Natur und unterschiedlichen Tieren schauten sich die Erfinder dieser Kampfmethoden Bewegungen und Verhaltensweisen ab und ließen sich so inspirieren.

Im chinesischen Kung-Fu gibt es 5 klassische Tierstile. Der Drache, Kranich, Tiger, Leopard und die Schlange. Die Kampfmethoden orientieren sich an den diesen Tieren jeweils zugeschriebenen Eigenschaften und bilden die Grundlage für dutzende andere Tierstile, wie Gottesanbeterin oder Adler.

Neben den 5 klassischen Tierstilen gibt es auch andere Stile, die sich aus diesen ableiten und manche Eigenschaften und Attribute besonders betonen. Der menschliche Kämpfer stellt in den seltensten Fällen nur eines der klassischen „Tiere“dar, sondern vereint in der Regel zwei, manchmal auch mehrere Tiere und deren Charakteristika in sich.

Die klassischen 5 Tierstile im Kung-Fu

Der Shaolin Meister Bai Ju Feng entwickelte, der Mythologie nach im 12. Jahrhunderte die 5 klassischen Tierstile.

  1. Schlange
  2. Kranich
  3. Tiger
  4. Leopard
  5. Drachen

Jedes Tier verfügt über seine Stärken, aber auch Schwächen. Über das Studium der Tierstile lernt der Kampfkünstler, sich auf vielseitige Weise zu bewegen und letztendlich seine eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen.

Tierstile – Die Eigenschaften der 5 Tiere

Kranich

Der Kranich ist ein bis zu 170 cm großer, dem Storch optisch sehr ähnlicher Vogel. Schon im alten Griechenland galt er als Symbol der Klugheit und Wachsamkeit. Er verfügt über eine hervorragende Balance und bewegt sich majestätisch. Mit runden Flügelbewegungen, wehrt er Angriffe ab, um mit schnellen Angriffen des Schnabels direkt zuzustoßen.

Seine hervorragenden defensiven Fähigkeiten erlauben es ihm abwartende zu kämpfen und gezielt zu kontern. Der Stil des (weißen) Kranichs hat maßgeblich das Okinawa Te, den Vorläufer des modernen Karate, beeinflusst.

Während im Okinawa Te noch häufig runde Blöcke zur Abwehr eingesetzt werden, sind diese in vielen Karatestilen, wie dem modernen Shotokan nicht mehr vorhanden.

Tiger Kung-Fu

Der Tiger gilt als das stärkste der fünf Tiere. Er kann es sich leisten, offensiv, mit brachialer Kraft auf seinen Gegner zuzugehen und ihn niederzukämpfen, da er über starke Muskeln, Sehnen und Knochen verfügt. Der menschliche Tiger ist massiv gebaut, muskulös und außergewöhnlich kräftig. Kein anderes Tier kann es dem Tiger an Kraft gleichtun, sondern muss auf Gewandtheit und Schnelligkeit setzen, wenn es gegenhalten will.

Der Tiger nutzt harte Schläge und Tritte, um die gegnerische Deckung direkt zu öffnen. Die Schläge werden oft mit der sogenannten Tigerklaue ausgeführt. Diese Handstellung erlaubt es effektiv mit dem Handballen zu schlagen, aber auch zu greifen und zu reißen. Hat der Tiger sein Opfer einmal erfolgreich in seinen Klauen, ist der Kampf schon so gut wie vorbei.

Der Leopard

Im Unterschied zum Tiger ist der Leopard, nicht ganz so kräftig und stark, dafür aber äußerst gewandt und für seine Schnelligkeit und Geschmeidigkeit bekannt. Der Leopard kämpft weniger direkt als der Tiger, er ist verspielter, greift an, zieht sich zurück und wartet auf seine Chance, die er aufgrund seiner außergewöhnlichen Schnelligkeit und Explosivität zu nutzen weiß.

Der Leopard nutzt auch Fallen, um seinen Gegner zum Angriff auf vermeintliche Deckungslücken zu verleiten. Lässt sich sein Gegner zu unüberlegten Angriffen, ohne hinreichende Eigensicherung verleiten, wird er vom Leoparden gezielt ausgekontert.

Der Leopard kämpft gerne in der tiefen und mittleren Katzenstellung. Er nutzt eine Vielzahl an Techniken, mit Händen und Füßen. Die Leopardenfaust, greift gezielt Schwachpunkte des menschlichen Körpers, wie den Kehlkopf, das Gesicht und die Augen, an.

Die Schlange

Die Schlange ist berühmt für ihre außergewöhnliche Flexibilität und Schnelligkeit. Sie ist das schnellste Tier und kann sowohl die Eigenschaften der Gift-, wie auch der Würgeschlange in sich vereinen. Blitzschnelle Stöße mit dem Giftzahn sorgen für schwere bis tödliche Verwundungen beim Gegner. Besonders Hals und Augen werden hier mittels Fingerstichen attackiert.

Kommt der Gegner der Schlange zu nahe, wird er von Würgetechniken bedroht, eng umschlungen und verliert zunehmend an Bewegungsspielraum. Die Bewegungen der Schlange sind fließend und gleichmäßig, bis sie blitzschnell aus der Bewegung heraus zustößt. Sie greift aus unterschiedlichen Winkeln an und ist in ihren Attacken nur schwer vorauszuberechnen.

Sie ist eine Meisterin im Ausweichen, durch kleine Bewegungen, die Angriffe an ihr vorbeigehen lassen.

Drache

Beim Drachen handelt es sich um ein Fabelwesen aus der chinesischen Mythologie. Er ist ein Glückssymbol, dem traditionell in Drachentänzen gehuldigt wird und Symbol des chinesischen Kaisers. Der Drache ist ausgesprochen schlau und kämpft äußerst variantenreich. Er nutzt sowohl hohe als auch tiefe Stellungen und Sprünge (Flugphasen). Der Drache greift in seiner Art zu kämpfen nicht nur den Körper des Gegners an, sondern wirkt auch auf seine Psyche ein.

Schläge mit der offenen Hand und Schellen (Ohrfeigen) wirken sich sehr negativ auf die Psyche seiner Gegner aus.

Wer es schon mal erlebt hat, wird feststellen, dass Schellen sich auf die mentale Haltung, ganz anders auswirken als Fauststöße. Wird man mit  Faustschlägen attackiert, fühlt man sich noch ernst genommen. Das gilt für Schellen, Ohrfeigen und Watschen nicht. Das wirkt sich teilweise extrem auf den Kampfgeist des Gegners aus und ist ein nicht zu unterschätzender Faktor in der psychologischen Kriegsführung.

Andere Tierstile

Gottesanbeterin – Praying Mantis – Tang Lang Quan

Dieser Stil wurde, glaubt man den Überlieferungen, im Shaolin Kloster in der chinesischen Provinz Henan entwickelt. Die Geschichte geht bis ins 14. Jahrhundert zurück und gelangte im 17. Jahrhundert in ganz China zu großer Popularität.

Affen Kung-Fu

Es handelt sich um eine Vielzahl von Stilen, die sich an den Bewegungsmustern unserer Vorfahren, geht es nach Darwin, orientieren. Es werden Mimik, Gestik, das Droh- und Kampfverhalten von Affen oft bis ins Detail imitiert. Das Affen Kung-Fu ist besonders interessant anzusehen und sticht durch seine Unberechenbarkeit besonders hervor.

Wie effektiv sind die klassischen chinesischen Tierstile wirklich?

Wer sich Filmaufnahmen der klassischen Tierstile im Kung-Fu ansieht, wird sehr schnell einige ganz augenscheinliche Unterschiede zu dem erkennen, was wir aus Wettbewerben in verschiedenen Kampfsportarten und realen Kämpfen auf der „Straße“ zu sehen gewohnt sind.

Heute ist es Gott sei Dank leichter denn je, von zu Hause aus hochkarätige Wettkämpfe, aber auch wilde körperliche Auseinandersetzungen (Analysen von Aufnahmen diverser Überwachungskameras), gefahrlos über das Internet ansehen zu können.

Deckungsverhalten und Eigenschutz

Nehmen wir Boxen oder auch die Mixed Martial Arts, in denen ja ein großes Spektrum an Techniken erlaubt ist, als Referenz für den sportlichen kämpferischen Wettkampf fällt Folgendes auf. Das Deckungshalten in den Tierstilen ist nicht oder kaum gegeben.

Oft sind sehr stilisierte Bewegungen zu sehen, wie das Zurückziehen der Hände an die Hüfte, die in einem realen Kampf nicht leistbar sind. Oft genug werden im sportlichen Vergleich auch hervorragende Kämpfer K.O geschlagen, weil sie nur einmal ihre Deckung vernachlässigt haben und einen winzigen Moment unachtsam waren.

Wir können also mit größter Sicherheit davon ausgehen, dass das mangelnde Deckungsverhalten in den Tierstilen, mit großer Wahrscheinlichkeit, fatal gegen halbwegs routinierte Kämpfer sein wird. Wer seinen Kopf und Körper nicht ausreichend und dauerhaft durch eine gute Deckung schützt, wird unweigerlich hart getroffen werden. Es sei denn, er hat das Glück den Kampf schnell und überraschend für sich zu entscheiden oder aber ist ein absolutes Ausnahmetalent.

Im Bereich des Boxens wären dafür beispielhaft Roy Jones Jr. oder auch der unglaubliche Emanuel Augustus zu nennen. Die aber und das darf man dabei nicht vergessen, immer realistisch trainiert haben und so gelernt haben, ihre außergewöhnlichen Begabungen, tatsächlich einzusetzen.

Überraschende Aktionen und Körperbeherrschung als Stärken der Tierstile

Die Art, wie sich die Tiere in Menschengestalt bewegen, hat neben der beachtlichen Akrobatik, dem künstlerischen Ausdruck und der Ästhetik noch vieles mehr zu bieten. Körperliche Eigenschaften, wie Flexibilität, Behändigkeit, Schnelligkeit werden in hohem Maße trainiert.

Die sehr unberechenbaren und somit kaum vorherzusehenden Bewegungen und Angriffe, die teilweise aus unmöglichen Winkeln vorgebracht werden, haben durchaus Potenzial den Gegner zu treffen. Angriffe auf Vitalpunkte müssen dabei oft nicht besonders kraftvoll ausfallen, um Wirkung zu erzielen.

Fingerstiche und unterschiedliche Hand und Faustpositionen, als Waffe gezielt eingesetzt, können sich hier durchaus als sehr effektiv im Kampf erweisen. Was Kampfsportler und so mancher „Selbstverteidigungsexperte“ gerne übersehen, weil es in ihrer Vorstellungswelt oder dem Reglement im Wettkampf nicht vorkommt.

Hier sehe ich durchaus ein großes Potenzial bei den Tierstilen, was Effektivität in realen, unreglementierten Auseinandersetzungen betrifft. Diese Dinge werden dann aber nur so richtig zu Geltung kommen, wenn die Kung-Fu Kämpfer sich ähnlichen Trainingsmethoden aussetzen, wie die Kampfsportler es tun. Das bedeutet: Ohne viel Sparring, freundschaftliche Kämpfe und Wettkämpfe, wird kein Kämpfer sein Potenzial auch nur annähernd entfalten können.

Fazit – Tierstile im Kung-Fu

Die Tierstile im Kung-Fu bilden einen Teil des chinesischen Kulturerbes und haben eine oft viele jahrhundertelange Geschichte. Neben den klassischen 5 Tierstilen gibt es eine Vielzahl weiterer, die sich fast alle auf die 5 zurückführen lassen. Je nach Körperbau und charakterlicher Prägung bevorzugen die Kämpfer meist ein oder zwei Tiere, deren Eigenschaften und Techniken sie sich zunutze machen.

Die Tierstile im Kung-Fu bilden hervorragende koordinative, artistische und sportliche Fähigkeiten aus. Zur Selbstverteidigung sind sie dann geeignet, wenn realistisch trainiert wird und manche traditionelle Konzepte und Techniken dem Realismus geopfert werden.

Viel Spaß beim Training!

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