Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass intelligente Selbstverteidigung wenig mit Kampfsport, oder Kampfkunst zu tun hat. Das führt dann vielfach auf der Suche nach einem geeigneten Selbstverteidigungstraining, oder Selbstverteidigungskurs zu Fehlentscheidungen.
Kampfsport, Kampfkunst und Selbstverteidigung werden oft gleichgesetzt. Während im Kampfsport nach Regeln gekämpft wird, betont Kampfkunst neben dem körperlichen Training, den geistigen Aspekt. Zur Selbstverteidigung gehören der regellose Kampf, Szenariotrainings, Achtsamkeit und Vorkampfverhalten.
Aus meiner Sicht sind aber nicht nur unbedarften Laien, sondern oft auch „Selbstverteidigungslehrern“ die Unterschiede nicht wirklich klar. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.
Ich habe auch einmal dazu gehört und im guten Glauben Inhalte weitergegeben, die ich heute mit gutem Gewissen nicht mehr unterrichten könnte.
Unterschiede – Kampfsport/intelligente Selbstverteidigung
Im Kampfsport treten im Normalfall, zwei Sportler unter einem bestimmten Regelwerk zum Wettstreit gegeneinander an. Die Regeln und Rahmenbedingungen des Kampfes sind im Vorfeld klar definiert und deren Einhaltung werden vom Schiedsrichter überwacht.
Den Kontrahenten ist klar, wann der Kampf beginnt.
Der Kampf startet außerhalb der Schlag- und Trittdistanz. Oft wird am Beginn des Kampfes Maß genommen, der sportliche Gegner, seine Reaktionen und Bewegungsmuster analysiert, bevor es so richtig losgeht.
Den Luxus allerseits anerkannter Regeln, Gewichtsklassen und des bereit stehenden Ringarztes gibt es in der Selbstverteidigung nicht.
In der intelligenten Selbstverteidigung geht es darum, so sicher wie möglich durch das Leben zu gehen. Am besten durch die Vermeidung körperlicher und damit oft verbunden juristischen Auseinandersetzungen. Wie kannst du das erzielen?
Durch Achtsamkeit im Vorfeld.
Das 80:20 Prinzip für die Selbstverteidigung
Potentielle Gefahrensituationen zu erkennen und zu vermeiden, machen 80 % einer intelligenten Selbstverteidigung aus.
In der ETF der Escrima Training Federation, widmen wir uns dieser Thematik ausführlich in den bundesweite angebotenen Street Safety Seminaren, aus der Feder von Sicherheitsexperten und Buchautor Bernd Schubert.
Den verbleibenden 20 %, wenn wir uns das Pareto Prinzip zunutze machen, müssen wir uns dem „Straßenkampf“ widmen. Der Auseinandersetzung, ohne Regeln, in denen prinzipiell alles möglich sein kann.
Es können Waffen ins Spiel kommen, umstehende Personen eingreifen, Angriffe ohne „Vorwarnung“ aus dem Hinterhalt erfolgen und vieles mehr.
Der Auftakt zur Auseinandersetzung findet nun nicht mehr durch Handshake und kurze Ansprache des Ringrichters statt, sondern ist nun völlig anderer Natur. Manchmal bekommt ein Kontrahent, oder in dem Fall das Opfer gar nicht mit, in welcher prekären Situation es sich befindet. Der Kampf wird dann oft durch den berühmten „Sucker Punch“ entschieden.
Der Sucker Punch – der heimtückischer Angriff auf der Straße
Der Sucker Punch, ist ein heimtückische Erstschlag, der das unvorbereitete Opfer erwischt und erst gar keinen Kampf entstehen lässt, beendet die Auseinandersetzung unmittelbar.
Sportliche Qualitäten kommen hier erst gar nicht zur Geltung.
Unzählige Schwarzgurte, aber auch hochrangige Vollkontakt Sportler sind dem Sucker Punch zum Opfer gefallen. Von einem erfahrenen Täter erfolgreich vorbereitet, waren sie chancenlos.
Der routinierte Täter verschleiert seine Absichten, arbeitet sich in eine Distanz zu seinem Opfer, die diesem jegliche Reaktionsmöglichkeit zur Gegenwehr nimmt. Falls das Opfer den Schlag überhaupt kommen sieht, hat es keine Möglichkeit mehr zu reagieren. Die Reaktionszeiten sind einfach zu kurz.
Eine alte Weisheit im Boxen ist:
„Der Schlag den du nicht kommen siehst, ist der gefährlichste.“
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es der, der den Kampf entscheidet.
Intelligente Selbstverteidigung – kämpferische Fähigkeiten
Falls du das Opfer eines Sucker Punch es geworden sein solltest und immer noch kampffähig sein solltest, hast du die Chance zurück zu kämpfen. Hier kommen, dann genau die kämpferischen Fähigkeiten zur Geltung, die Kampfsportler trainieren.
Mit Einschränkungen.
Die Eignung diverser Kampfsportarten für regellose Auseinandersetzungen können äußerst unterschiedlich sein. Dazu muss man eigentlich nur das Regelwerk betrachten und mit den Erfordernissen eines regellosen Kampfes vergleichen.
Relativ gut geeignet sind, wenn wir weit verbreitete gängige Kampfsportarten betrachten:
- Boxen/Kickboxen/Thaiboxen/Sanda
- Ringen/Judo/Sambo/BJJ
- MMA
Grob vereinfacht, können wir die Mixed Martial Arts als Kombination von Boxen und Ringen betrachten.
Beliebte Kombinationen sind hier:
Boxen, Kickboxen, Muay Thai auf der einen und Ringen oder Brazilian Jiu-Jitsu auf der anderen Seite.
Die Waffenproblematik in der Selbstverteidigung
Was gerne übersehen wird ist, dass diese Kampfsportarten sich nicht der Waffenproblematik widmen und obwohl sehr gut zum Kämpfen geeignet, nicht alle Erfordernisse intelligenter Selbstverteidigung abdecken.
Leider können ja auch Waffen zum Einsatz kommen. Deshalb ist es ein echter Vorteil regelmäßig mit Waffen zu trainieren, alleine deswegen schon, um deren Gefährlichkeit und Einsatzmöglichkeiten kennenzulernen.
Du kannst mit mehreren Gegnern gleichzeitig konfrontiert werden.
Krav Maga Panic Performance hat auf YouTube Videos von oben erwähntem Großmeister analysiert. Sehr wohl wollend, aber auch kritisch. Inhaltlich treffen die Videos von Dr. König oft den Punkt, es gibt aber auch ab und an Kritikpunkte.
Mit dem Kritikpunkt eine Szene betreffend, gebe ich Krav Maga Panic Performance Recht.
Den Angreifer wegzustoßen, macht höchstens dann Sinn, wenn das mit der nötigen Eigensicherung geschieht. Diese fehlt in der gezeigten Szene.
Ob man dem Angreifer durch diese Art des Wegstoßens noch eine zweite Angriffschance einräumen sollte, muss individuell in der Situation entschieden werden.
Hier ist das Video:
Sparring im Selbstverteidigungstraining?
Was das Thema Sparring betrifft, sind die Meinungen, was Training in intelligenter Selbstverteidigung betrifft, gespalten. Eine Gruppe hält es nicht für selbstverteidigungsrelevant, da Selbstverteidigung ja nichts mit Sport zu tun habe.
Die andere Gruppe betreibt im Zuge ihres Selbstverteidigungstrainings auch regelmäßig Sparring. Mit dem Argument, nur so könne man grundlegende kämpferische Fähigkeiten entwickeln und Kampf „verstehen“.
Viele Krav Maga Verbände teilen diese Ansicht, ebenso die ETF (Escrima Training Federation).
Bei uns stellt Sparring im fortgeschrittenen Bereich einen wesentlichen Teil des Trainings dar. Es werden sowohl Szenarien, als auch „sportliches“ Sparring mit und ohne Waffen geübt. Man kann durchaus selbstverteidigungsrelevantes Sparring betreiben, wenn das Ziel der jeweiligen Übung klar definiert ist.
Sparring hat keinen Platz im Selbstverteidigungstraining – Ausreden?
Meine ganz persönliche Meinung ist, dass das Vermeiden von Sparring im Selbstverteidigungstraining oft als Ausrede gebraucht wird. Man möchte sich nicht Situationen stellen, die einen möglicherweise schlecht aussehen lassen und das eigene Ego und den sozialen Status als Fortgeschrittener oder Meister infrage stellen.
Wer aber nicht zu kämpfen trainiert, in vorgegebenen Partnerübungen ohne echten Widerstand gefangen bleibt, der wird niemals die kämpferischen Fähigkeiten entwickeln können, die er sich wünscht. Er wird auch kein echtes Selbstbewusstsein seine Fähigkeiten betreffend entwickeln können.
Das Unterbewusstsein dieser Leute weiß bereits, dass es mit ihren kämpferischen Fähigkeiten nicht weit her ist, davon bin ich überzeugt.
Keine gute Voraussetzung für einen möglichen Ernstfall!
Merke:
Nicht kämpfen zu können, ist auch keine Lösung! (In Anlehnung an den großen Loriot: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.“)
Ein Lob den Kampfsportlern – zweckmäßiges Training
Für Kampfsportler ist es ganz normal, sich im Training sportlich zu messen. Das mag für die Erfordernisse einer modernen Selbstverteidigung nicht ausreichen, ist aber dennoch ein wichtiges Element für kämpferische Entwicklung.
Du lernst mit Stress umzugehen, mit Erschöpfung, mit Schmerzen und Niederlagen und Erfolgserlebnissen. Das Training sorgt dafür, dass du deine Fähigkeiten einigermaßen realistisch einzuschätzen lernst und am Boden der Tatsachen bleibst.
Kampfsportler vs. Kampfkünstler
Weltweit erregten die Herausforderungen des chinesischen MMAlers Xu Xiaodong an Meister traditioneller Stile Aufsehen. Die Ergebnisse zeigen auf, was geschieht, wenn man sein Training nicht richtig priorisiert, was Kampf betrifft.
So eine Situation wäre durchaus auch auf der Straße vorstellbar. Hier startet die Auseinandersetzung in einer weiten Distanz. Der Tai-Chi-Meister erlebt, trotz seines langjährigen Trainings hier zum ersten Mal die Situation ernsthaft angegriffen zu werden. Er ist damit in jeder Hinsicht überfordert. Er hat es auch nie trainiert.
Zur Klarstellung: Kampfkünste haben ihre Berechtigung und können den Menschen viel Positives bieten. Man sollte nur nicht Äpfel mit Birnen verwechseln und die Zielsetzungen im Training kennen.
Ein Stil, der in erster Linie gesundheitsorientiert ist und Traditionen pflegt, wird kämpferisch mit Stilen, die sich zu 100 % dem Kampf widmen nicht mithalten können. Das kann man völlig wertfrei sehen.
Theorie vs. Praxis – Kampfkunst vs. Kampfsport
In diesem Video zeigt sich, wenn Theorie auf Praxis trifft. Es ist kein fairer Wettkampf, sondern eine sehr einseitige Sache. Die Kampfkünstler sind aufgrund ihres weniger realistischen Trainings hoffnungslos unterlegen.
Wer kann annehmen, dass diese Tatsachen in einer Notwehrsituation keine Rolle mehr spielten, oder sich gar ins Gegenteil verkehren würden?
Spätestens, wenn ein Überraschungsangriff misslungen ist, entscheiden die kämpferischen Fähigkeiten.
Wer möchte dann unbedarft dastehen?
Ein weiterer Vorteil den Kampfsportlern haben, ihnen ist voll bewusst wie wichtig körperliche und mentale Vorbereitungen sind. Deshalb sind sie in der Regel fit, verfügen über athletische Fähigkeiten, Schlagkraft und Explosivität. Eigenschaften, die man sicherlich nicht missen möchte, wenn es darauf ankommt.
Sinnvolle Trainingsgestaltung für die Selbstverteidigung
Was manche Selbstverteidigungsprofis übersehen ist, dass Sparring zur Entwicklung kämpferischer Fähigkeiten notwendig ist.
Unter Sparring verstehe ich in diesem Zusammenhang, gewinnorientiertes Handeln.
Ich verstehe nicht darunter, halbherzige Partnerübungen als Sparring zu benennen. Das ist Augenauswischerei.
Hier parodiert Master Ken den in unterschiedlichsten WT/WC Stilen so beliebten Lat Sao Drill.
Im Sparring will man den Trainingspartner treffen, festhalten, zu Boden bringen… Das kann durchaus auch mal in geringer Intensität geübt werden, um später intensiviert zu werden. Für manche mag es aufgrund ihres Alters, oder körperlicher Einschränkungen bei nur geringer Intensität bleiben.
Was aber nichts bringt, ist nur vorgeben den Partner treffen zu wollen, ohne es tatsächlich zu versuchen. So lernt keiner der Beteiligten etwas Sinnvolles.
Es entstehen dann nur, für geschulte Augen zumindest, bizarre clowneske Szenen, die dem Betrachter im besten Fall ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern. Die angelernten schauspielerischen Fähigkeiten werden einen Angreifer im Ernstfall unbeeindruckt lassen.
Nicht kämpfen zu können, ist keine optimale Voraussetzung für die Selbstverteidigung, auch wenn Kampf immer nur die Ultima Ratio sein kann!
Eckpunkte für sinnvolles Selbstschutztraining
- Achtsamkeit: Probleme im Vorfeld erkennen und vermeiden.
- Theoretisches und praktisches Know-how, um das Entstehen von Konflikten.
- Deeskalations- und Eskalationsstrategien. (Ja richtig, einem unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorgekommen wäre eine notwehrrechtlich gedeckte Eskalationsstrategien. Eine Notwehrprovokation hingegen wäre widerrechtlich und ist nicht gemeint.)
- Szenario Training: Um sich an gängige Situationen spielerisch gewöhnen zu können.
- Eine sinnvolle körperliche Vorbereitung: Dazu gehört der Aufbau von hinreichender Schlagkraft genauso, wie kämpferische Fähigkeiten zu entwickeln. Nur für den Fall, dass du dich in einer Duellsituation wiederfindest.
- Der Waffenaspekt: In Zeiten, in denen Waffen schon wegen Nichtigkeiten in Konflikten eingesetzt werden, ist Selbstverteidigung, die diesen Aspekt nicht genügend beachtet, überholt.
Fazit – Unterschiede Kampfsport/Selbstverteidigung
Kampfsport und Selbstverteidigung sind zwei Paar Schuhe. Trotzdem bieten manche Kampfsportarten hervorragende Grundlagen, um kämpferisch fit für eine intelligente Selbstverteidigung zu werden. Fügt man diesen Grundlagen ein sinnvolles Selbstverteidigungstraining hinzu, wird man als Ergebnis gut vorbereitet sein.
Im Umkehrschluss kann man Kampfkünste genauso „aufrüsten“, um sie für die Selbstverteidigung zu optimieren.
Viel Spaß beim Training!
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