Judo zählt neben Karate zu den beliebtesten Kampfsportarten im deutschsprachigen Raum. Der Judosport ist zumeist in Vereinen strukturiert und verfügt und bietet engmaschige Trainingsmöglichkeiten. Die Frage, wie gut denn Judo zur Selbstverteidigung geeignet ist, stellt sich vielen Aktiven und künftigen Judokas.
Judo ist bedingt zur Selbstverteidigung geeignet. Der Kampfsport hat seinen Stärken beim Werfen, Hebeln und Würgen im Stand und auf dem Boden. Der Umgang mit und gegen Schläge und Tritte fehlt, was einen großen Nachteil darstellt, wenn es um eine für Notsituationen geeignete Kampfmethode geht.
Neben den fehlenden technischen Inhalten, wie Schlägen und Tritten, verdienen andere Aspekte der Selbstverteidigung, wie Wissen um Konfliktvermeidung, Deeskalation, der Umgang mit und gegen Waffen, mehr Aufmerksamkeit, als der Judosport ihnen zumisst.
Judo ist ein Kampfsport und hat deshalb ganz andere Schwerpunkte und Zielsetzungen im Training. Dies ist wichtig, zu verstehen. Die Zielsetzungen im Kampfsport und fast allen Kampfkünsten sind grundsätzlich andere, als in reinen Selbstverteidigungsmethoden.
Sehen wir uns aus Sicht der Selbstverteidigung an, welche Stärken das Judo hat und welche Ergänzungen man vornehmen kann, um fehlende Teile, zu ergänzen.
Judo, die versportlichte Variante die Jiu-Jitsu
Der Judosport ist aus dem Jiu-Jitsu entstanden und wurde in seiner modernen Form von Kano Jigoro geschaffen. Jiu-Jitsu in seiner ursprünglichen Form, war eine universelle, für den Selbstschutz entwickelte Kampfmethode. Sie beinhaltet alle erdenklichen Techniken, so auch Schläge und Tritte, mit Händen, Füßen, Knien und Ellenbogen.
Aus dem Jiu-Jitsu wurden nun besonders gefährliche Techniken, neben aller Arten von Schlägen und Tritten entfernt, um einen Kampfsport, das Judo zu erschaffen. So konnte unter Einhaltung der sportlichen Regeln, sicher mit voller Kraft und Widerstand trainiert werden. Die auf Würfe spezialisierten Judokas, beherrschen das aufgrund ihrer Spezialisierung und des harten durchdachten Trainings besser, als jeder andere Kampfsport.
Wie bei allen anderen Kampfsportarten, die ja über ihr Regelwerk definieren, was erlaubt und verboten ist, können Judokas trainingsbedingt mit Schlägen und Tritten nicht besonders gut umgehen. Sie trainieren es schlicht und einfach nicht. Das ist auch vollkommen in Ordnung, sorgt aber für Defizite, in Schlägereien, einem Straßenkampf und der Selbstverteidigung.
In vielen Judovereinen werden auch spezielle Selbstverteidigungseinheiten, noch auf Basis des alten Jiu-Jitsu, gelehrt. Meist werden diese Inhalte ergänzend trainiert, sind aber nicht Trainingsschwerpunkte. Der Umgang mit Schlägen, weniger mit Tritten, ist aber essenziell, wenn es um das Thema Selbstverteidigung geht und erfordert mehr an Training.
Judo – Werfen – Hebeln – Würgen
Die Techniken des Judos bestehen, aus Würfen, Gelenkhebeln, Fußfegern und Würgetechniken. Es wird sowohl im Stand als auch am Boden gekämpft. Ziel im sportlichen Wettkampf ist der Sieg durch Aufgabe oder eine Punktewertung. Der ganze Punkt – Ippon genannt – wird für perfekt ausgeführte Techniken vergeben.
Der Ippon steht symbolhaft für ein Leben. Ein gut ausgeführter Wurf kann tatsächlich in einer Notsituation kampfentscheidend und sogar tödlich sein.
Judo/Selbstverteidigung die Stärken
Seine Stärken entfaltet der Judoka in der Nahdistanz, wenn es um das Werfen, Hebeln und Würgen geht. In dieser Distanz ist er brandgefährlich. Gut durchgeführte Würfe können einen Kampf beenden, gerade dann, wenn auf hartem Untergrund geworfen wird und dem Geworfenen eine gute Fallschule fehlt.
Gelingt es einem trainierten Judoka seinen Kontrahenten zu greifen, wird er sehr schnell und instinktiv einen Wurfansatz finden und den Gegner zu Boden bringen. Ein harter Wurf kann dabei schon kampfentscheidend sein.
Der Geworfene muss den Wurf, erst einmal körperlich verdauen, wieder zu Atem kommen. In schlimmeren Fällen kann er auch bewusstlos werden oder sich schwerst verletzen. Gerade auf hartem Boden und ohne Übung beim Fallen ist das nicht unwahrscheinlich.
Die Chancen seinen Gegner mit einem guten Wurf kampfunfähig zu machen ist hoch.
In der engen Distanz, werden Schläge zunehmend weniger effektiv, da es einfach an der Möglichkeit mangelt, ausholen zu können. Das kommt wiederum dem Judoka entgegen.
Kommt es zu einem Kampf am Boden, ist der Judoka ebenfalls in seinem Element. Im Unterschied zu den Mixed Martial Arts werden im Judo aber keine Schläge ausgeführt. Mit etwas Übung dürfte sich das aber schnell ergänzen lassen.
Das Problem mit dem Bodenkampf in Sachen Selbstverteidigung ist, dass der Aufenthalt am Boden an sich gefährlich ist, auch wenn man in einer Auseinandersetzung 1:1 dominant ist. Umstehende können eingreifen, man ist schlicht und einfach ein leicht zu treffendes Ziel am Boden.
Mehr zum Thema Bodenkampf in der Selbstverteidigung – Bodenkampf in der Selbstverteidigung, welche Rolle spielt er?
Judo/Selbstverteidigung die Schwächen
Da im Judo die Ausführung und der Umgang mit Schlägen und Tritten nicht trainiert wird, lieg seine Schwächen in Notwehrsituationen, in dem Bereich. Die Gefahr niedergeschlagen zu werden ist dementsprechend groß, bevor der Judoka seine Stärken im Nahkampf ausspielen kann.
Ein gut gezielter, überraschender Schlag, führt in vielen Fällen zum unmittelbaren Ende einer Auseinandersetzung. Im Unterschied zum Kampfsport wird hier mit unfairen Mitteln gearbeitet. Geübte Schläger, wissen instinktiv und aus Erfahrung, wie sie sich in Position bringen müssen, um einen solchen Schlag (Sucker Punch) zu landen.
Um auf solche Situationen bestmöglich vorbereitet zu sein, braucht es neben der Bewusstwerdung des Problems, entsprechendes Training. Auf Selbstverteidigung spezialisierte Systeme nutzen dazu eigens geschaffene Drills und Szenariotrainings. Dinge, die in den Kampfsportarten und Kampfkünsten fehlen. Die Zielsetzung im Training ist einfach eine andere.
Der Judoka ist rein aufgrund seines Trainings nicht vorbereitet auf Schläge und Tritte sinnvoll zu reagieren oder diese selbst gut auszuführen. Das ist etwas, das unbedingt zu ergänzen ist, will man als Judosportler die eigenen Selbstverteidigungsfähigkeiten optimieren.
Neben dem technischen Aspekt, den Umgang mit Schlägen und Tritten betreffend, braucht es als, wie wir anhand des Beispiels oben, dem Sucker Punch gesehen haben, zusätzlich einiger praktischer und theoretischer Grundlagen, um den Selbstverteidigungsaspekt ergänzend abzudecken.
Der Umgang mit Waffen ist ein weiterer ganz wesentlicher Punkt. Wer nie mit und gegen Angriffe mit unterschiedlichen Waffen trainiert hat, ist unzureichend auf Notwehrsituationen vorbereitet. Es wird zwar in vielen Kampfsportarten und Kampfkünsten versucht sich dieser Problematik anzunehmen, oft allerdings mit mehr als bescheidenem Erfolg.
Hier fehlt einfach der nötige Hintergrund und das Verständnis, zur realistischen Einschätzung der Bedrohung und den Möglichkeiten sich dagegen zu wehren.
Selbstverteidigung – zum Judo ergänzend trainieren?
Wer als Judoka seine Selbstverteidigungsfähigkeit erhöhen möchte, kann das ergänzend tun, ohne seinen Sport aufgegeben zu müssen. Dazu bedarf es zwar eines gewissen Aufwands, es ist aber mit dem nötigen Willen zu schaffen.
Ein Ziel muss es sein, den Umgang mit Schlägen, weniger mit Tritten zu erlernen. Die gute Nachricht ist, das benötigt nicht allzu viel an Aufwand. Erfahrungen aus den Mixed Martial Arts zeigen, dass Ringer und Judokas, sich leichter tun, Schlagen und Treten auf einem brauchbaren Level zu erlernen, als Boxer/Kickboxer umgekehrt ringen und werfen zu erlernen.
Der Judoka muss, um seine Selbstverteidigungsfähigkeiten, deutlich zu erhöhen, ja kein hohes Niveau beim Schlagen erreichen. Er sollte zuallererst aber in der Lage sein, sich gegen Schläge schützen zu können, sie rechtzeitig kommen zu sehen, um dann seine eigenen Stärken im Nahkampf auszuspielen.
Wer das ernsthaft erlernen will, sollte mit einigen Monaten Training in einem Boxclub, ausreichend geschult sein. Natürlich kann man das auch untereinander trainieren. Wesentlich ist die Fähigkeit, schwere Treffer zu vermeiden, um als Judoka die eigenen Stärken auszuspielen.
Was Waffen angeht, ist in erster Linie eine richtige Einschätzung der Gefahr, die von Waffen ausgeht wichtig. Das hilft dann auch bei dem Vermeiden unnötiger Risiken, was für den Selbstschutz besonders wesentlich ist.
Theoretisches Wissen zum Thema Selbstverteidigung kann man sich zusätzlich anlesen und mit dem Besuch einiger guter Seminare aneignen.
Fazit – Judo zur Selbstverteidigung
Der Judosport, deckt wie jeder andere Kampfsport, nur einen Teil dessen ab, was an Fähigkeiten erforderlich ist, um alle Aspekte des Problemfelds Selbstverteidigung abzudecken. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist. Das ist meine Einschätzung, die auf meiner Erfahrung als Kampfsportler und Selbstverteidigungslehrer beruht – die Defizite lassen sich mit relativ wenig Aufwand abdecken.
Neben dem theoretischen Hintergrund und der Waffenproblematik, müssen Judoka vor allem den Umgang mit Schlägen, erlernen. Dazu muss er nicht zum Boxer werden, es reicht aus Schläge kommen zu sehen und sich so zu schützen, dass schwere Wirkungstreffer unwahrscheinlicher werden.
Auf der Basis kann der Judoka seine Fähigkeiten im Nahkampf ausspielen und wird, zumindest in einer waffenlosen Auseinandersetzung, sehr gute Erfolgschancen haben.
Viel Spaß beim Training!
Martin
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