Mythen der Selbstverteidigung – Klargestellt!


Mythen der Selbstverteidigung
Mythen der Selbstverteidigung

Mythen, Märchen, Irrtümer, all das gibt es zuhauf in der großen, bunten Welt der Kampfkünste, Kampfsportler und der Selbstverteidigungsexperten. Viele dieser Mythen sind allerdings gefährlich, wenn man ihnen zu viel Glauben schenkt.

Sie führen zu unrealistischen Einschätzungen von real existierenden Gefahren und der Glaube an manche dieser Mythen, kann zu einem tödlichen Irrtum werden.

Damit das möglichst nicht passiert – ein paar Dinge, über die es sich lohnt nachzudenken, wenn es dir um realistische Selbstverteidigung und was damit zusammenhängt, geht.

Schwarzgurtträger sind (nahezu) unbesiegbar

Der Mythos, dass Schwarzgurtträger im Kampfsport fast unüberwindliche Gegner sind, hält, sich Dank vieler Kinofilme hartnäckig. Das stimmt in vielen Fällen nicht. Zum einen werden höhere Graduierungen in einigen Kampfkünsten leichtfertig vergeben und sagen kaum was über die allgemeinen kämpferischen Fähigkeiten aus, zum anderen unterscheiden sich Selbstverteidigung und sportlicher Wettkampf stark voneinander.

Die kämpferischen Fähigkeiten der Schwarzgurtträger werden im besten Fall, im Freikampf überprüft. Es handelt sich hier um einen sportlichen Duellkampf. Beide Kontrahenten haben sich auf ein Regelwerk geeinigt und halten sich daran. Je weniger Techniken die Regeln erlauben, umso unrealistischer die Auseinandersetzung. Das bedeutet nichts anderes als, dass der Schwarzgurtträger schon von den Kampftechniken her, sehr limitiert ist. Und wir wissen alle – in der Selbstverteidigung gibt es keine Regeln.

Messerangriffe kann man mit etwas Training abwehren

Das ist vielleicht einer der gefährlichsten Mythen, die Selbstverteidigung betreffend. Unwissende Trainer und Hollywood haben viel zu diesem Mythos beigetragen. Die Chancen, einen ernst gemeinten Messerangriff, der das Ziel hat, den Angegriffenen zu töten, unbewaffnet erfolgreich abzuwehren, bewegen sich im einstelligen Prozentbereich. Mit Training lassen sich die eigenen Chancen geringfügig erhöhen.

Beitrag: Messerangriffe, das richtige Verhalten

Die besten Chancen hat derjenige, der im Vorfeld gefährliche Situationen erkennt, meidet und falls es ihm möglich ist, so schnell wie möglich die Flucht ergreift.

Das ist weniger von der Realität entfernt, als man sich wünscht.

Mehr Information zum Thema in meinem Beitrag: Messerangriffe abwehren

Kraft und Gewicht spielen eine untergeordnete Rolle

So oder so ähnlich werden mehr oder weniger von manchen „Selbstverteidigungsexperten“für ihre Kurse und ihr Training geworben und der Mythos hält sich hartnäckig. In meinen Augen ist das grob fahrlässig. Es führt zu einem überhöhten Selbstbewusstsein, mancher Schüler, was ihre realistischen Möglichkeiten in körperlichen Auseinandersetzungen betrifft.

Die mentale Haltung, Trainingszustand, athletische Fähigkeiten, Kraft und Masse sind entscheidende Faktoren in der Selbstverteidigung.

Jeder von uns weiß das instinktiv. Mit ein paar billigen Tricks, lassen sich diese Faktoren nicht neutralisieren. Diese Erkenntnis in einer Notwehrsituation zu erlangen, wird nicht zur mentalen Überlegenheit des Angegriffenen beitragen. Aber dann ist es mit großer Wahrscheinlichkeit zu spät.

Es ist richtig, dass sich körperliche Nachteile bis zu einem gewissen Grad durch gutes Training ausgleichen lassen. Aber dazu ist langes, intensives Training notwendig. Der Durchschnittsbürger bringt diese Voraussetzungen einfach nicht mit.

Video – Männer gegen Frauen – es ist nicht chancenlos, aber die Frau benötigt wesentlich bessere Fähigkeiten, um ihre körperlichen Nachteile auszugleichen. Auch im Zeitalter der Gleichberechtigung.

Militärischer Nahkampf das Nonplusultra

Was im Krieg funktioniert, funktioniert im zivilen Leben erst recht!

Richtig?

Nein, falsch! Einmal abgesehen davon, dass der militärische Nahkampf nicht mal in der Steinzeit ohne Waffen betrieben wurde, hat er völlig andere Zielsetzungen als die zivile Selbstverteidigung. Im militärischen Nahkampf geht darum, den Gegner auszuschalten, mit allem, was zur Verfügung steht. In der Regel geschieht das mit Kriegswaffen, nicht unbewaffnet. Das Notwehrrecht spielt auch keine Rolle, im besten Fall die Genfer Konvention und die Haager Landkriegsordnung.

Der unbewaffnete Nahkampf ist beim Militär die absolute Ausnahme und dementsprechend wenig Aufmerksamkeit wird ihm im Training auch gewidmet. Es ist weder die Zeit noch die Notwendigkeit vorhanden, das Thema ausführlich zu behandeln.

Davon abgesehen sind die wenigsten von uns hartgesottene Soldaten. Was man von denen erwartet, kann man nicht von Otto Normalverbraucher erwarten.

Es geht ohne hartes Training und Sparring

„Da wir keine Kampfsportler sind und uns auf realistische Kämpfe vorbereiten, können wir mit unseren lebensgefährlichen Techniken leider kein Sparring (Übungskämpfe) betreiben. Außerdem ist diese Trainingsmethode für die Selbstverteidigung nicht geeignet.“

– So oder so ähnlich wird von vielen Lehrern, Trainern und Organisationen geworben.

Das ist natürlich absoluter Unfug. Kämpfen lernen ohne zu kämpfen ist wie schwimmen lernen, ohne nass zu werden. Es ist schlicht und einfach nicht möglich. Die Erkenntnis ist mittlerweile auch in modernen Selbstverteidigungssystemen angekommen. Es werden hier ganz bewusst unterschiedliche Szenarien trainiert, um ganz gezielt unter Stress auf Notwehrsituationen vorbereitet zu werden.

Ein Beispiel dafür sind die Combatives.

Ein Schlag und der Kampf ist vorbei

Es kann durchaus der Fall sein, dass ein einziger Schlag einen Kampf beendet, aber es ist nicht davon auszugehen. Vor allem dann nicht, wenn es sich um eine wenig trainierte Person handelt, der es in Notwehr nicht gelingt einen Überraschungstreffer zu landen. Schläge führen dann zu einer unmittelbaren Kampfunfähigkeit des Gegners, wenn sie mit ausreichender Wucht empfindliche Punkte am menschlichen Körper treffen.

Die Wahrscheinlichkeit so einen Treffer zu landen sinkt dramatisch, wenn der Getroffene ihn kommen sieht. Er kann sich dann instinktiv auf den Treffer einstellen, die Muskeln anspannen, wegdrehen oder sogar abwehren. Der Ausdruck Schlägerei kommt nicht von ungefähr. Er verrät, in der Regel werden viele Schläge ausgetauscht.

Mit Tritten kann ich mich gut wehren

Meistens beginnt die Auseinandersetzung in naher Distanz statt. Für Tritte ist nur wenig Raum, viel häufiger wird geschlagen. Wer Tritt riskiert sein Gleichgewicht, kann leicht umgestoßen werden oder ausrutschen und ist während des Tretens nicht mobil. Das kann besonders fatal sein, wenn es sich um mehrere Angreifer handelt.

Tritte kommen wenn, dann meist dann zum Einsatz, wenn das Opfer am Boden liegt. Dann allerdings sehr häufig mit schwerwiegenden Verletzungen für den Getretenen.

Es ist durchaus richtig, dass Tritte verheerende Wirkung entfalten können. Das kann man in diversen Kampfsportbewerben sehen.

Aber auch hier:

  • Die Sportler haben lange und sehr intensiv dafür trainiert.
  • Ein Wettkampf ist etwas anderes als eine Notwehrsituation.

Im Selbstverteidigungskurs lernt man kämpfen

Kämpfen kann man in einem Selbstverteidigungskurs nicht lernen. Komischerweise ist diesbezüglich die Erwartungshaltung sehr hoch. Auch geheime Tricks und Techniken wird man hier nicht lernen, schon gar keine, die Schläger oder routinierte Verbrecher nicht beherrschen und die man damit überraschen könnte.

Gut gemachte Selbstverteidigungskurse können einen Einblick in die Thematik geben und den Teilnehmern zu einer realistischen Gefahreneinschätzung verhelfen. Gute Lehrer werden sich intensiv der Thematik Gefahrenvermeidung widmen. Das ist etwas, was jeder lernen kann und essenzieller Bestandteil eines Selbstschutzkonzeptes sein muss. Gar nicht erst in eine körperliche Auseinandersetzung zu geraten, muss das Ziel sein.

Wie bei allen Dingen im Leben. Man kann gute Fertigkeiten nicht mit minimalem Zeitaufwand erlernen, selbst bei den allerbesten Lehrern. Hier ist eine realistische Einschätzung gefordert. Alles andere fällt in den Bereich Mythologie und schwere Irrtümer, die man eventuell nur einmal im Leben machen kann.

Messer sind gut zur Selbstverteidigung geeignet

Messer sind zur Selbstverteidigung nicht zu empfehlen. Es sind potenziell tödliche Waffen, die aber selten den Angreifer unmittelbar stoppen. Sehr oft bleibt ein schon tödlich getroffener Aggressor noch eine Weile handlungsfähig, kann noch weiter attackieren und Schäden anrichten, trotz schwerer Verletzungen.

Die Gefahr, dass der Verteidiger das Messer verliert und es gegen ihn eingesetzt wird, besteht außerdem. Es ist eine Sache ein Messer für den Notfall mitzuführen, eine andere es tatsächlich einzusetzen. Ein Messereinsatz hat immer schwerwiegende Folgen. Die Waffe lässt sich nicht dosiert einsetzen, führt zu blutenden und meist schweren bis tödlichen Verletzungen.

Etwas, was man, wenn man einigermaßen heil aus der Notwehrsituation heraus gekommen ist, vor Gericht argumentiert werden muss. Der Verteidiger steht hier fast immer mit einem Bein im Gefängnis.

Ich nehme ein Messer und bin im Notfall auf der sicheren Seite – Mythos!

Mit einem Stock kann man Messer gut abwehren

Nein, ein Stock ist zwar eine brauchbare Waffe im Notfall, aber die Chancen erfolgreich einen ernstgemeinten Messerangriff zu überstehen sind dennoch schlecht. Nachdem ich seit über 15 Jahren im Escrima (ETF) mit Waffen trainiere und, mit Bernd Schubert, einen absoluten Experten als Lehrer habe, kann ich das mit Sicherheit sagen.

Die Chancen des Messermanns in die Nahdistanz zu kommen und dort lebensgefährliche Verletzungen zu verursachen sind leider sehr hoch. Ich weiß, es gibt da einige „Experten“, die das anders sehen und das auch mit ihren Schülern erfolgreich demonstrieren, aber die kann ich persönlich nicht ernst nehmen.

Ja, es ist eine gute Idee, mit dem Stock die Waffenhand des Angreifers zu attackieren. Allerdings stehen die Chancen nicht besonders gut, wenn der Angreifer sich halbwegs geschickt verhält. Viele Versuche wird der Verteidiger aber nicht haben, bevor alles zu spät ist. Er muss über sehr gute Fähigkeiten verfügen, während der Aggressor sich ungeschickt verhält. Dann gibt es gute Chancen, sich mit dem Stock erfolgreich zu behaupten.

Sonst nicht!

Hebeltechniken funktionieren in der Selbstverteidigung

Hebel lassen sich in einer unreglementierten Auseinandersetzung, in der alles „erlaubt“ ist, noch dazu gegen einen körperlich überlegenen Gegner, nur von absoluten Experten anwenden. Es ist völlig illusorisch, wenn Laien so etwas probieren. Schläge aller Art, Ellenbogen- und Kniestöße und fallweise Würfe im Gerangel, lassen sich viel eher anwenden.

Hebel werden in der Regel, man sieht das häufig in den Mixed Martial Art („Käfigkämpfe“ mit wenig Regeln)  durch Schläge vorbereitet. Der Gegner wird sozusagen weich geklopft, um das Hebeln zu erleichtern.

Natürlich gibt es Experten, die das auch ohne Schläge können, aber wie gesagt, es handelt sich immer um trainierte Kämpfer, nicht um Laien, die sich einer Extremsituation gegenüber sehen.

Die Polizei nutzt Hebeltechniken, um Personen zu fixieren oder abzuführen. Dem aufmerksamen Beobachter wird aber nicht entgangen sein, dass sie dafür im Team agieren. In den seltensten Fällen, wenn sie alleine Festnahmen durchführen.

Ein paar Tricks verschaffen mir die Oberhand

Fürchterlich, dieser Mythos ist nicht totzukriegen. Lasst euch das nicht einreden. Wer hat, glaubt ihr mehr Tricks drauf – einschlägige Tricks im wahrsten Sinn des Wortes? Routinierte Schläger, Verbrecher oder Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher.

Mal abgesehen davon ist das „Wissen“ um Trick 17 völlig irrelevant, wenn er nicht hinreichend verinnerlicht wurde. Wer hat wohl mehr Praxis, weniger Hemmungen und die Erfahrungen auf seiner Seite?

Also vergesst Tricks und vergesst Geheimtechniken. Geheimtechniken sind auch ein beliebtes Motivations- und Marketinginstrument der üblichen verdächtigen Scharlatane. Das Dumme an Geheimtechniken ist, die wenigsten haben sie jemals gesehen, kaum jemand hat sie wirklich geübt und noch weniger auf ihre Realitätstauglichkeit getestet.

Wirbt jemand mit Tricks und Geheimtechniken, sollte deine Geheimtechnik sein, wegzugehen, einfach wegzugehen und den guten Mann oder die gute Frau stehenzulassen. Das ist schon eine gute Vorübung für die Selbstverteidigung, gehen, wenn man gehen kann, man muss nicht jede Konfrontation miterleben.

Polizist = Selbstverteidigungsexperte

Der Verdacht liegt auf den ersten Blick nahe, bestätigen tut sich der Mythos aber nur in absoluten Ausnahmefällen. Was die Selbstverteidigungsexpertise des durchschnittlichen Polizisten angeht, erwartet sich der Durchschnittsbürger zu viel. In der Polizeiausbildung nimmt das Thema waffenloser Nahkampf einen geringen Stellenwert ein. Wer sich hier nicht aus Eigeninitiative weiterbildet, hat ihn vielen Fällen als Polizist, seit vielen Jahren gar nichts mehr in die Richtung trainiert.

Selbst der Umgang mit den Dienstwaffen wird in aller Regel viel zu wenig geübt.

Zwar werden Polizisten rechtlich gründlich geschult, man will ja Gesetzesverstöße in Amtshandlungen seitens der Exekutive, möglichst gering halten, allerdings haben Polizisten auch aufgrund ihres Berufes einen besonderen Blickwinkel auf das Thema Selbstverteidigung.

Die Frage stellt sich, ob jemand, der beruflich für die Einhaltung der Gesetze zuständig ist, auch willens ist notwendig werdende Eskalationen in Notwehr, anzusprechen. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.

Bodenkampf ist essenziell in der Selbstverteidigung

Die meisten Kämpfe enden am Boden, deshalb muss man dem Bodenkampf gerade für die Selbstverteidigung große Aufmerksamkeit schenken. Dieser Mythos ist nicht völlig absurd. Wer sich aber nüchtern mit dem Thema Bodenkampf und Selbstverteidigung befasst, wird zu folgenden Schlüssen kommen:

  • Bodenkampf sollte unbedingt vermieden und nie angestrebt werden!
  • Falls du am Boden landest, versuche so schnell wie möglich wieder aufzustehen!

Die Gründe dafür sind vielfältig. Am Boden bist du ein leichtes Ziel für Umstehende, die beschließen einzugreifen. Du bist offen für Tritte und Schläge zu Kopf und Körper, siehst sie kaum kommen. Sind Waffen im Einsatz, bist du ebenfalls Zielscheibe. Der Boden ist in der Regel ein unangenehmer Aufenthaltsort, von Schotter, Glassplittern bis hin zum Asphalt. Die Chancen dich am Boden zu verletzen steigen deutlich.

Mehr Info zu diesem Thema – Bodenkampf in der Selbstverteidigung? – welche Rolle spielt er.

Fazit: Mythen in der Selbstverteidigung

Ich hoffe dir, mit den weit verbreiteten Mythen zum Thema Selbstverteidigung ein paar Denkanstöße gegeben zu haben. Wenn du dich ernsthaft mit dem Thema Selbstverteidigung und Selbstschutz auseinandersetzen willst und das sollte jeder, dann kennst du jetzt einige Kriterien, anhand derer, du deinen Selbstverteidigungskurs oder Lehrer auswählen kannst.

Leider gibt es in der Branche jede Menge Traumtänzer und unseriöse Lehrer, die in ihrem Unvermögen viel Schaden anrichten und ihre Schüler indirekt gefährden. Sie vermitteln falsche Vorstellungen von der Realität, dem, was möglich ist und von der Bedrohungslage im Einzelfall.

In diesem Sinne – sitz ihnen nicht auf, es könnte fatal enden.

Viel Spaß beim Training!

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